Gastbeitrag Focus: Macron liegt fundamental falsch und verkennt Xis Erpressungspotential

Gastbeitrag Focus: Macron liegt fundamental falsch und verkennt Xis Erpressungspotential

Michael Theurer redet beim Parteitag
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Der Besuch des französischen Präsidenten Macron in der Volksrepublik China stellt eine Zäsur dar. Er lässt sich von der Kommunistischen Partei für eine Propagandashow missbrauchen. Seine Auffassung über europäische Interessen ist fundamental falsch. Es ist gut, dass sich Kanzler Scholz hierfür nicht hergegeben hat.

Die Bevölkerung der Volksrepublik China ist 2022 erstmals seit über 60 Jahren geschrumpft. Dieser Trend wird sich fortsetzen. Je nach Quelle wird sich die Bevölkerung am Ende dieses Jahrhunderts auf zwischen 310 und 770 Millionen Menschen verkleinert haben.

Wenn ein Land selbst in den optimistischsten Schätzungen innerhalb von drei Generationen die Hälfte seiner Bevölkerungszahl verliert, stellt es das vor große innen- und außenpolitische Herausforderungen. Dies gilt umso mehr, wenn das Land Großmachtfantasien hegt, wie sie die Volksrepublik zur Schau stellt.

Das Jahrhundertprojekt der „Neuen Seidenstraße“ erhebt den Anspruch, neben der Stärkung des globalen und wirtschaftlichen Einflusses, dem politischen System der Volksrepublik China in all seinen Facetten und mit all seinen Werten weltweit Geltung zu verschaffen.

Erstmals seit Ende des Kalten Krieges wird der globale Wertekanon aus Demokratie, Marktwirtschaft und Rechtsstaatlichkeit weltweit und systematisch in Frage gestellt – auf kurz oder lang wird sich Europa diesem Systemwettbewerb stellen müssen.

Volksrepublik China will zur dominierenden Supermacht des 21. Jahrhunderts werden

Wenn die Volksrepublik ihr Ziel erreichen will, zur dominierenden Supermacht des 21. Jahrhunderts zu werden, bleibt aber wegen der demografischen Entwicklung nicht mehr viel Zeit. Das birgt die Gefahr, dass China seine Expansionspolitik kurzfristig erzwingen könnte, so wie es bereits Hongkong trotz aller Zusicherungen unter die vollständige autoritäre Herrschaft gebracht hat.

Zentraler Schlüssel hierfür ist Taiwan. Die Pazifikinsel, in welcher die unterlegene Seite des chinesischen Bürgerkriegs die „Republik China“ aufgebaut hat, ist heute nicht nur ein Hort der Demokratie und des Fortschritts, sondern vor allem der wichtigste Produzent von Halbleitern – also Computerchips – der Welt.

Wenn Macron so tut, als hätte Europa kein ureigenes Interesse daran, dass auf Taiwan weiterhin eine Demokratie Chips für die Welt produziert, verkennt er das Erpressungspotential, welches die Kommunisten durch eine Eroberung Taiwans bekämen. Europas Wirtschaft ist von taiwanesischen Computerchips noch wesentlich abhängiger als von russischer Energie.

Macron spielt PR-Show der Kommunistischen Partei mit

Dass Macron nun die PR-Show der Kommunisten mitspielt und dabei auch noch die Präsidentin der EU-Kommission von der Leyen (CDU) vorführt, indem er bilaterale Gespräche mit Xi Jinping führt und dabei wesentlich konzilianter auftritt, als dies mit den europäischen Partnern oder der EU-Kommission abgestimmt ist, stellt ein Problem dar. Es deutet darauf hin, dass Xis Strategie, Europa einerseits von den USA loszulösen und andererseits intern zu spalten, aufgehen könnte.

Macron bringt dies auf die Formel, dass man Druck widerstehen müsse, lediglich Amerikas Gefolgsleute zu sein. Er sieht sich dabei offenbar in der Tradition von Charles de Gaulle, dem ein autonomes Europa unter französischer Führung vorschwebte. Dabei darf man aber nicht verkennen, dass ein souveränes und demokratisches Frankreich nur durch die Hilfe der USA in zwei Weltkriegen erhalten werden konnte.

Europa muss in der Lage sein, seine Interessen selbst zu wahren

Der Wunsch, dass Europa außenpolitisch endlich erwachsen wird, ist dabei grundsätzlich wichtig. Das demokratische Europa muss in der Lage sein, seine Interessen selbst zu wahren.

Doch die Schlüsse Macrons daraus, nämlich eine nur geringfügige Unterstützung für die demokratische Ukraine gegen Russlands Invasion Europas, Neutralität in einer möglichen Invasion der Volksrepublik China in Taiwan und ein Ende der engen transatlantischen Kooperation bei gleichzeitiger Anbiederung an China, sind fundamental falsch.

Die Rolle Deutschlands muss dabei sein, wie sie schon zu Adenauers Zeiten war: Kein Zweifel an der europäischen Integration, der Westbindung und der transatlantischen Zusammenarbeit bei gleichzeitiger Investition in die deutsch-französische Freundschaft.

Systemwettbewerb mit China ernstnehmen

Natürlich müssen wir dabei auch mit China reden, wie es Bundeskanzler Scholz Ende 2022 tat. Jedoch ohne dabei kritische Fragen auszusparen oder unsere Grundüberzeugungen über Bord zu werfen. Der erste Schritt hin zu einer eigenständigen europäischen Außenpolitik ist es, den Systemwettbewerb mit China ernst zu nehmen und entsprechend zu handeln.

Das heißt: Ende der deutschen Entwicklungshilfe für China. Keine politische Einflussnahme an deutschen Hochschulen durch die vom chinesischen Staat kontrollierten Konfuzius-Institute – wo akademisches Personal von einem Systemrivalen abhängig ist, wäre es besser diese Institute zu schließen.

Freier Handel nur auf Gegenseitigkeit. Wenn europäische Unternehmen nur eingeschränkten Zugang zum chinesischen Markt bekommen, sollte das umgekehrt auch so gelten. Und vor allem: Kein Ausverkauf kritischer Infrastruktur an China.

Gefährliche Abhängigkeit von China zeigt sich in Griechenland

Wie weit die Abhängigkeiten reichen, wenn ein Staat elementar wichtige Infrastruktur an die Volksrepublik China verkauft, ist am Beispiel Griechenlands ersichtlich: Die Volksrepublik hält mittlerweile hohe Anteile am griechischen Stromnetz und zudem den Hafen Piräus in Staatshand.

Griechenland fällt es in der Folge immer schwerer, sich bei gemeinsamen europäischen Entscheidungen gegen den chinesischen Staat zu wenden. Diesen Pfad dürfen wir nicht fortsetzen.

Der Gastbeitrag erschien am 11.04.2023 auf Focus Online. Den Artikel findet ihr hier.