Gastbeitrag Südwestpresse (Neckar-Chronik): „Unbequeme Realität“

Gastbeitrag Südwestpresse (Neckar-Chronik): „Unbequeme Realität“

197. Sitzung des Deutschen Bundestages - Haushaltsdebatte Foto: Am Redepult Michael Theurer (FDP)

Print Friendly, PDF & Email

Putins Eroberungskrieg gegen die Ukraine stellt uns vor große Herausforderungen. Er konfrontiert uns mit einer unbequemen Realität. Denn was Putin in der Ukraine nicht dulden kann, ist, dass sie ein souveräner Staat sein will, der die freiheitliche Demokratie statt einer autoritären Kleptokratie sein will und damit den russischen Bürgern zeigt, dass es eine Alternative zum Modell Putin gibt. Dieser sprach daher nicht nur der Ukraine das Existenzrecht ab, sondern gewissermaßen im Vorbeigehen auch den baltischen EU- und NATO-Mitgliedern. Putins Krieg, er gilt auch uns und unseren engsten Verbündeten.
Damit stellen sich zunächst außen- und sicherheitspolitische Fragen, bei denen sich viele in unserem Land von Träumen, Illusionen und Lebenslügen verabschieden müssen und sich immerwährend richtige Erkenntnisse neu Bahn brechen: Frieden und Freiheit gibt es nicht geschenkt. Was die Ausrüstung der Bundeswehr angeht, ist viel liegen geblieben, so dass es nun eine Kraftanstrengung braucht, um Verteidigungsfähigkeit und -bereitschaft herzustellen. Diplomatie alleine hält einen autoritären Herrscher nicht vom Krieg ab. Wir müssen in der Lage sein, uns selbst zu verteidigen, dazu gehört auch Abschreckung.
Daneben geht es jetzt jedoch kurzfristig darum, die notleidenden Ukrainer zu unterstützen. Besonders gefreut hat mich als Schienenverkehrsbeauftragter der Bundesregierung, wie schnell und flexibel die Deutsche Bahn mit den Partnerbahnen in Polen und Tschechien auf die Lage reagiert hat. Mit ihrer Schienenbrücke transportiert sie Hilfsgüter gen Osten und Geflüchtete gen Westen. Es gibt keinerlei Zweifel: unsere Solidarität gilt den Opfern von Krieg und Gewalt. Dies allein wird ein Kraftakt, der organisiert sein will. Jetzt müssen Bund, Länder und Kommunen dafür sorgen, dass die wachsende Zahl der Geflüchteten auch untergebracht werden kann.
Wenn die Landesregierung Geflüchteten den Zutritt zu Hotels verbietet, weil sie keine EU-Impfnachweise haben, und diese deshalb im Stuttgarter Hauptbahnhof übernachten müssen, ist das jedenfalls nicht meine Vorstellung von unbürokratischer Hilfe. Mittelfristig muss es jedoch der Europäischen Union gelingen, die Abhängigkeit von Autokraten und Diktatoren im Energiesektor massiv zu reduzieren. Denn diese Abhängigkeit war es, die Putin glauben ließ, er könne ungestraft bei seinen Nachbarn einmarschieren.

Wir müssen uns selbstkritisch fragen, ob wir zu lange weggeschaut haben. Deutschland hat Putin zwar kritisiert, aber gleichzeitig weiter Geschäfte mit ihm und seinen Getreuen gemacht. Selbst jetzt kommen wir nicht ganz davon los, zu groß sind unsere Probleme bei der Energieversorgung. Energiegewinnung, die erneuerbar und auf europäischem Boden stattfindet, wird damit ein Freiheitsfaktor, Erneuerbare Energie zur Freiheitsenergie. Meine Vision einer Europäischen Wasserstoffunion, die uns unter anderem mit klimaneutralem Erdgas, Benzin, Diesel und Kerosin versorgt und zu der sich die Ampel-Koalitionspartner im Koalitionsvertrag auf Bundesebene bekennen, gewinnt damit eine neue, zusätzliche Dringlichkeit.
Dafür müssen die Erneuerbaren Energien nur hierzulande stark ausgebaut werden, sondern insbesondere auch dort, wo dies in sehr großen Mengen günstig möglich ist – etwa Portugal, Spanien oder perspektivisch auch in der Ukraine.

Dieser Gastbeitrag erschien am 10.3.2022 in der Neckar-Chronik.