Gastbeitrag Südwestpresse (Neckar-Chronik): Zur Impfpflicht

Gastbeitrag Südwestpresse (Neckar-Chronik): Zur Impfpflicht

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Die Debatte um die allgemeine Impfpflicht erhitzt die Gemüter. Es ist an der Zeit, sie zu versachlichen. Ich selbst bin nach wie vor nicht überzeugt, dass eine Impfpflicht geeignet und verhältnismäßig ist.

Die Probleme fangen bei der Umsetzbarkeit und damit an, dass ein Impfregister datenschutztechnisch schwierig erscheint. Ohne Impfregister wäre eine Beweislastumkehr notwendig, rechtsstaatlich ebenfalls schwierig. Bei vielen Millionen Menschen, die bisher ungeimpft sind und Einsprüche gegen Bußgelder erheben könnten, könnten die Behörden und die Gerichte schnell an die Belastungsgrenze stoßen. Es stellt sich auch die Frage, was passieren soll, wenn jemand einfach weigert, zu zahlen.

Der Gesundheitsminister von Baden-Württemberg Manfred Lucha sagt, man solle überlegen, eine Erzwingungshaft ausdrücklich auszuschließen, um nicht den Eindruck eines Impfzwangs entstehen zu lassen. Aber wäre dann nicht der einfache Ausweg für jeden Impfunwilligen, die Geldbuße einfach zu ignorieren? So macht sich der Staat lächerlich. Und selbst wenn die Geldbuße gezahlt wird, ist der Betroffene ja davon noch lange nicht geimpft. Soll dann alle sechs Wochen wieder eine Geldbuße erhoben werden?

Die allgemeine Impfpflicht ist darüber hinaus ein Eingriff in die medizinische Selbstbestimmung, in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Das lässt sich in einem gewissen Maße durch den Schutz der körperlichen Unversehrtheit Dritter rechtfertigen. Das sehe ich besonders im Fall von Personen, die mit besonders vulnerablen Gruppen zu tun haben, weshalb ich einer einrichtungsbezogenen Impfnachweispflicht auch zugestimmt habe.

Betreffend den Durchschnittsbürger ist es wesentlich schwerer sicherzustellen, dass die Impfpflicht verhältnismäßig ist. Aktuell gelten für Ungeimpfte schon sehr weitreichende Maßnahmen. Sie müssen sich für die Arbeit oder Fahrten im ÖPNV täglich testen lassen, sind von weiten Teilen des öffentlichen Lebens sogar ausgeschlossen. Wer sich davon nicht zu einer Impfung bewegen lässt, bei dem glaube ich auch nicht daran, dass ein niedriges Bußgeld ihn umstimmt. Wenn aber ein hohes Bußgeld diskutiert wird oder ein Zwangsgeld bei Nichtzahlung, dann kann ich mir schwer vorstellen, wie das etwa bei einem 18-Jährigen, mehrfach von Corona genesenen Ungeimpften ohne Kontakt mit Risikogruppen verhältnismäßig sein soll. Gleiches gilt auch für Erzwingungshaft oder staatliche Ersatzvornahme. Ich jedenfalls kann mir nicht vorstellen, dass hier Menschen ohne ihre Einwilligung Arzneimittel verabreicht werden.

Selbst wenn die Impfpflicht zu einer deutlichen Erhöhung der Impfquote führen würde, sind die damit verbundenen Hoffnungen ebenfalls eher unrealistisch. Die Befürworter tun ja so, als ob mit einer Impfpflicht Corona in jedem Fall kein Problem mehr wäre und sämtliche anderen Maßnahmen überflüssig. In Portugal sind 90 Prozent der Bevölkerung voll geimpft. Die Inzidenz ist Stand 25. Januar bei 3419. Selbst mit sehr hohen Impfquoten lassen sich hohe Inzidenzen ohne andere Begleitmaßnahmen nicht völlig ausschließen, je nach Variante auch hohe Hospitalisierungsraten nicht.

All das bedeutet nicht, dass die Impfung unbedeutend wäre: Sie ist ungefährlich, schützt gut insbesondere vor schweren Verläufen und bildet neben Tests und Masken einen wichtigen Baustein im Umgang mit der Pandemie.

Der Gastbeitrag von Michael Theurer ist erschienen in der Südwestpresse/Neckar-Chronik am 27.01.2022