Interview Wirtschaftswoche: Entscheidungen müssen zurück in die Parlamente

Interview Wirtschaftswoche: Entscheidungen müssen zurück in die Parlamente

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FDP-Präsidiumsmitglied Michael Theurer gab der „WirtschaftsWoche“ (Online) am Dienstag, 20.10.20 das folgende Interview. Die Fragen stellte Benedikt Becker:

Frage: Herr Theurer, wie bewerten Sie das Krisenmanagement von Bund und Ländern angesichts der stark steigenden Corona-Infektionszahlen?

Theurer: Wir sind einfach nicht gut vorbereitet. Die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten haben es in der Zeit zwischen den Kontaktsperren im Frühjahr und der Situation heute völlig versäumt, einheitliche Standards zu setzen. Es fehlt noch immer ein funktionierendes Reiserückkehrer-Management, es gibt weiterhin keine ganzheitliche Teststrategie. Auch die Digitalisierung des Gesundheitswesens kommt nicht voran. Es ist bezeichnend, dass sich die Ministerpräsidenten erst jetzt mit der Bundesregierung getroffen haben und dabei auch keine echte Einigung zustande gekommen ist.

Frage: Es gab aber doch den ganzen Sommer über regelmäßige Treffen zwischen der Bundeskanzlerin und den Länderchefs.

Theurer: Das stimmt. Aber es ist umso bemerkenswerter, dass da nicht verschiedene Szenarien durchgespielt und entsprechende Vorbereitungen getroffen wurden. Im Gegenteil: Mit den Reiserückkehrern haben sich die politisch Verantwortlichen doch erst beschäftigt, als die Sommerferien im größten Bundesland Nordrhein-Westfalen schon fast wieder vorbei waren. Bereits im April haben wir von der Bundesregierung und den Ländern eine intelligente Öffnungsstrategie gefordert – ohne Erfolg. Das bittere ist: Die Folgen müssen jetzt die Unternehmen tragen, die von einer Verschärfung besonders betroffen wären, also die Gastronomie und der Einzelhandel.

Frage: Was stört sie derzeit besonders?

Theurer: Das Verhalten des bayerischen Ministerpräsidenten. Markus Söder tritt als Corona-Maulheld auf. Er hat die schlechtesten Infektionszahlen und schafft es nicht, seine überforderte Gesundheitsministerin Melanie Huml zu entlassen. Auch an Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer hält er fest, der wegen des Desasters bei der Pkw-Maut schon längst hätte zurücktreten müssen. Söder wirkt wie eine Cassandra aus Nürnberg, die zwar ständig warnt, aber selbst nichts hinbekommt. Ich bin skeptisch, ob er die kritische Situation in Berchtesgaden in den Griff bekommt.

Frage: Dort hat Ministerpräsident Söder gerade einen Lockdown verhängt, nachdem die Zahl der Corona-Infizierten drastisch gestiegen war. Halten Sie das für das richtige Vorgehen?

Theurer: Die FDP hat immer eine regional differenzierte Vorgehensweise gefordert. Dort, wo die Infektionszahlen schnell steigen und den Schwellenwert übersteigen, muss konsequent gehandelt werden. Das vertreten wir auch weiterhin. Nur so kann ein zweiter Quasi-Lockdown für das ganze Land verhindert werden.

Frage: Sie fordern eine einheitliche Strategie von Bund und Ländern. Wie könnte die denn erreicht werden?

Theurer: Da ist jetzt eine klare Krisenkommunikation durch das Kanzleramt erforderlich. Dieses ständige Hin und Her zwischen den Ländern muss beendet werden. Wir brauchen Standards, die für jeden Bürger verständlich und einleuchtend sind. Ein Hotelgast zum Beispiel, der sich an die Abstands- und Hygieneregeln hält, stellt doch keine Gefahr dar. Es versteht auch niemand, warum für Touristen und Geschäftsreisende unterschiedliche Vorgaben gelten sollen. Entscheidend ist doch nur, dass die Regeln eingehalten und durchgesetzt werden. Und dass jedes Bundesland nach denselben Standards handelt, wann es strengere Maßnahmen verhängt.

Frage: Das gelingt aber offenbar nicht so richtig. Die Länder können sich nicht einigen. Beobachten wir gerade, wie der deutsche Föderalismus an seine Grenzen kommt?

Theurer: Das ist mit Sicherheit eine schwierige Situation, die die Schwächen unserer föderalen Ordnung zeigt. Dabei haben Bundestag und Bundesrat der Bundesregierung im Frühjahr mit den Änderungen im Infektionsschutzgesetz weitreichende Kompetenzen gegeben, auf die Pandemie zu reagieren. Wir als FDP kritisieren, dass die Zeit danach nicht genutzt wurde, um zu allgemeinen gesetzlichen Regelungen zu kommen, die ein Mindestmaß an Einheitlichkeit bundesweit garantieren. Wir fordern daher, dass die Entscheidungen zurück in die Parlamente verlagert werden. Was gerade läuft, ist Gift für die parlamentarische Demokratie. Die Bundeskanzlerin und alle Ministerpräsidenten haben ein Rederecht im Bundestag. Das müssen sie nutzen, damit die Bürger nachvollziehen können, warum welche Entscheidung getroffen wird.