Gastbeitrag Focus Online: Sozialer Aufstieg durch Liberales Bürgergeld

Gastbeitrag Focus Online: Sozialer Aufstieg durch Liberales Bürgergeld

Print Friendly, PDF & Email

Die Corona-Krise wird mittelfristig erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt einerseits und die Bildungschancen junger Menschen andererseits haben. Das Aufstiegsversprechen der Sozialen Marktwirtschaft muss jetzt erneuert werden, damit sozialer Aufstieg weiter möglich ist.

Dass die SPD-Vorsitzende Saskia Esken im Sommerinterview jeden Stolz der ältesten deutschen Partei aufgab und sich mehr als ein Jahr vor der Bundestagswahl sowohl für einen grünen Kanzler als auch für eine Koalition mit der Linkspartei auf Bundesebene offen zeigte, lässt sich als Fortsetzung des Selbstverleugnungskurses einer ehemaligen Arbeiterpartei verstehen.

Die SPD hat in den 60ern und 70ern, gerade in Zusammenarbeit mit der „Bildung ist Bürgerrecht“-FDP, das Land mit Gymnasien und Universitäten ausgestattet, den zweiten Bildungsweg erleichtert und die duale Ausbildung gestärkt, um so sozialen Aufstieg durch eigene Leistung zu ermöglichen. Mit den ausklingenden 90er Jahren zeigten sich jedoch neue Gefahren für den sozialen Aufstieg, für die Lebenschancen weiter Teile der Bevölkerung: Wachstums- und Innovationsschwäche sowie hartnäckige Langzeitarbeitslosigkeit – letztere wiederum auch mit erheblichen negativen Auswirkungen auf die Kinder in den betroffenen Familien.

Anfang des Jahrtausends hat die SPD eine mutige Reformagenda vorangetrieben, um das Sozialsystem zu entrümpeln und insbesondere der Massenarbeitslosigkeit ein Ende zu setzen. Die Devise lautete: Sozial ist, was Arbeit schafft.

Doch egal ob „Hartz“, „Agenda 2010“ oder „Aufstocker“: Die Schlüsselbegriffe sind im Jargon der Sozialdemokraten längst Schimpfworte. Die SPD ist nicht mehr stolz darauf, mit der Agenda 2010 sozialen Aufstieg für Millionen Menschen ermöglicht zu haben. Sie schämt sich dafür und hat die Deutungshoheit den Linken überlassen. Da hilft auch kein Olaf Scholz als realpolitisches Feigenblatt, die SPD hat sich von den Wünschen und Träumen der arbeitenden Mitte verabschiedet.

Doch das Thema des sozialen Aufstiegs wird durch die Corona-Krise wieder hochaktuell. Die Arbeitslosenzahlen steigen, Millionen sind in Kurzarbeit und die wirklichen Folgen für die Menschen sind noch nicht absehbar. In den Unternehmen ist die harte Realität angekommen. Wir sind nicht auf Wohlstand abonniert. Es besteht die ernsthafte Gefahr, dass nach der Infektionswelle eine Insolvenzwelle der Unternehmen kommt.

Gleichzeitig treten die Versäumnisse und Rückstände bei der Digitalisierung immer deutlicher zu Tage. Besonders augenfällig ist das beim Staat selbst: Digitalisierung der Verwaltung, des Gesundheitssystems, der Schulen und Hochschulen – überall besteht immenser Nachholbedarf. Darunter leiden insbesondere Schüler aus bildungsfernen Haushalten. Sie stehen vor Herausforderungen, die so vorher kaum vorstellbar waren. Wie kommen wir da wieder raus?

Zunächst ist festzuhalten, dass die Idee der „Aufstocker“ eine absolute Erfolgsgeschichte ist. Arbeitslose werden dazu animiert, sich zumindest einen kleinen Job zu suchen. Die ersten 100 Euro dürfen voll behalten werden, von den nächsten 100 Euro müssen jedoch bereits 80 Euro wieder abgegeben werden. Ein solcher kleiner Job gibt zumindest ein Gefühl für Organisation, Sinn, Struktur – und ein bisschen extra Geld. Bei höheren Verdiensten sind die sogenannten Transferentzugsraten allerdings recht hoch, für einen zusätzlich verdienten Euro dürfen teils weniger als 10 Cent behalten werden. Das fühlt sich an wie eine über 90-prozentige Steuer, kein besonders toller Arbeitsanreiz.

Dennoch ist das System schon heute recht erfolgreich. Eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung – dessen Chef Marcel Fratzscher im Ruf steht recht SPD-nah zu sein – fand bei der Analyse von Daten der Jahre 2005 bis 2017 heraus, dass Aufstocker eine viel höhere Chance haben, sich später vollständig selbst zu finanzieren, als Arbeitslose. Die Besonderheit ist, dass bei diesen Daten erstmals die Lebenswege von Einzelpersonen nachverfolgt werden konnten.

Kritiker des „Aufstocker“-Systems aus Linke und SPD behaupten, dieses subventioniere ein Dumpinglohnsystem, aus dem die Empfänger nicht mehr herauskämen. Das kann man nun als empirisch widerlegt betrachten. Im Gegenteil ist es eine Forderung genau dieser Kritiker, die Menschen im Arbeitslosensystem gefangen halten würde: Ein politisch festgesetzter Mindestlohn von 12 Euro oder mehr. Das würde bei Menschen, die sich aus einer schwierigen Situation herausarbeiten wollen, die untersten Sprossen auf der Leiter entfernen – sie könnten in vielen Fällen gar nicht erst einsteigen.

Statt also auf diesem Wege den Einstieg zu erschweren, sollte das Aufstocker-System noch leistungsfreundlicher ausgestaltet werden, indem die Entzugsraten verringert werden. Das ifo-Institut hat bereits letztes Jahr ausgerechnet, welche Wirkung das hätte: Es würden je nach Ausgestaltung grob zwischen 100.000 und 250.000 neue Jobs entstehen, die Einkommen der betroffenen Haushalte steigen gegenüber heute an, Armut und Ungleichheit werden gedämpft. Finanzierbar wäre die Umgestaltung sehr leicht, langfristig würde sie für den Staat sogar mehr zusätzliche Einnahmen als zusätzliche Ausgaben bringen.

Besonders dringend notwendig wäre eine solche Umgestaltung auch für Alleinerziehende. Durch die Wechselwirkung verschiedener Regelungen gibt es einen Einkommenskorridor, wo alleinerziehende Eltern quasi keine Chance haben, durch mehr Leistung mehr zu verdienen.

Nehmen wir eine ganz normale Akademikerin, alleinerziehend mit zwei Kindern, vielleicht im Marketing eines Mittelständlers: In Vollzeit würde sie im Monat 3400 Euro brutto verdienen, da sie wegen der Kinder in Teilzeit gegangen ist arbeitet sie zu 50%, also 1700 Euro brutto. Die Transferentzugsraten liegen für sie bei oder, was eigentlich gar nicht vorkommen dürfte, über 100%. Das bedeutet: Wenn sie wieder mehr arbeiten will, vielleicht auf 70%, hat die alleinerziehende Mutter am Ende keinen Cent mehr in der Tasche als vorher. Die sogenannte Teilzeitfalle schnappt über das Sozialsystem zu.

Dies kann und muss geändert werden. Die FDP hat schon letztes Jahr mit einem umfassenden Konzept unter der Überschrift „Liberales Bürgergeld“ vorgelegt, die Debatte muss dringend in einer breiten Öffentlichkeit geführt werden.

Doch es darf nicht nur um die Eltern gehen, wir müssen auch über die Kinder reden: Die Umstellung der Schulen auf digitalen Unterricht gelang nur teilweise – und auch nur dort, wo sich Lehrer weit über das hinaus engagierten, was man von ihnen erwarten kann. Jahrzehnte verschlafener Digitalisierung im Bildungssystem wurde auf einen Schlag wie unter einem Brennglas schmerzhaft sichtbar. Die Eltern mussten sich nicht nur um die Aufsicht ihrer Kinder und deren fehlende Struktur und Sozialkontakte kümmern, sondern auch den Unterricht teilweise selbst gestalten. Auch hier gibt es schon die ersten Untersuchungen, wozu das geführt hat. Wie zu erwarten am stärksten zu schlechteren Bildungschancen für die – ohnehin schon benachteiligten – Kinder aus bildungsfernen Haushalten.

Auch hier muss dringend angepackt werden. Die Schulen müssen angefangen vom Glasfasernetz bis zu entsprechenden Lern- und Konferenzprogrammen mit der passenden Hard- und Software ausgestattet und die Lehrer damit geschult werden. Es geht hier nicht nur um die Digitalisierung dessen, was auch analog möglich ist, sondern um digitale Transformation: Lehrer müssen auch in der Lage sein, digital die Wege zu gehen, die analog gar nicht offen stehen. Natürlich kann das nicht in jeder Situation ein gleichwertiger Ersatz für Präsenzunterricht sein, sondern im Regelfall nur eine Ergänzung und sogar eine Erweiterung. Doch die Möglichkeit muss es geben.

Es ist zu einfach, wenn die Regierungen in Bund und Ländern schlicht auf die Pandemie verweisen, um sich zu exkulpieren. Sie müssen vielmehr dafür sorgen, dass eine Pandemie nie wieder dazu führt, dass Unterricht ersatzlos abgesagt, Eltern und Lehrerinnen und Lehrer alleine gelassen, Kinder vernachlässigt werden. Kindern darf das Recht auf Bildung nie wieder vorenthalten werden. Zukünftig muss es eine Schulpflicht für den Staat geben.

Es gibt keinen anstrengungslosen Wohlstand. Doch in Deutschland muss es für alle die Möglichkeit geben, sich durch eigene Leistung ein auskömmliches Einkommen und letztlich auch ein selbstbestimmtes Leben zu erarbeiten, in dem jeder nach seiner eigenen Weise glücklich werden kann. Dafür müssen politisch endlich die richtigen Weichen gestellt werden.