Gastbeitrag Kubicki/Theurer im Cicero: Welche Maßnahmen könnten helfen

Gastbeitrag Kubicki/Theurer im Cicero: Welche Maßnahmen könnten helfen

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Seit knapp zehn Wochen kommt es in Deutschland – wie in vielen anderen Staaten Europas und der Welt – zu zum Teil massiven Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Dies hat nicht nur starke Auswirkungen auf die Psyche der Menschen, sondern hinterlässt tiefe Einschnitte in der deutschen wie in der Weltwirtschaft. Deutschland befindet sich in der größten Krise der Nachkriegszeit. Führende Ökonomen weltweit befürchten eine Weltwirtschaftskrise, die der großen Depression der Jahre ab 1929 in nichts nachsteht.

Der Wachstumseinbruch in diesem Jahr wird nach Analyse des DIHK bei mindestens zehn Prozent liegen. Damit bewegen wir uns auf eine 90-Prozent-Ökonomie zu. Wer dies für hinnehmbar hält, vergisst, dass damit die Existenzvernichtung von Millionen Menschen verbunden ist, deren Lebensplanung ruiniert wird. Zugleich sind hunderttausende von Insolvenzen bei Selbstständigen und Unternehmen aller Größenordnungen zu befürchten, insbesondere kleine und mittelständische Betriebe.

Nur unverbesserliche Optimisten glauben an einen V-förmigen Verlauf der Konjunktur, nach dem die Erholung nach der Pandemie genauso schnell erfolgt, wie sich der Einbruch gegenwärtig abzeichnet. Sie übersehen dabei, dass wir es mit einer einmaligen und brutalen Situation zu tun haben, die durch zwei massive parallele negative Schocks gekennzeichnet ist. Denn es sind sowohl die Nachfrage-, wie auch die Angebotsseite betroffen, das heißt Konsum und Produktion.

Zwei Entwicklungen können einander verstärken: Angstsparen auf der einen Seite, weil Menschen nicht wissen, wie es weitergeht und die Planbarkeit über ihr Leben verloren haben. Und Investitionszurückhaltung auf der anderen Seite, weil das notwendige Vertrauen in die weitere wirtschaftliche Entwicklung geschwunden ist und viele Absatzmärkte für einen längeren Zeitraum weggebrochen sind. Wirkt beides zusammen, folgt die konjunkturelle Entwicklung einem L, dass wir nach dem dramatischen Absturz also keine Erholung erleben, sondern eine Depression.

Eine kluge Wirtschaftspolitik muss deshalb jetzt zur Stimmungsaufhellung beitragen und Ängste lösen. Eine erste Maßnahme könnte die durchgängige Senkung der Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte für die nächsten zwei Jahre sein. Studien zeigen, dass eine derartige massive Senkung der Verbrauchssteuer zwei Effekte hat: Etwa die Hälfte der Steuersenkung wird an die Haushalte über geringere Preise weitergegeben, was insbesondere zugunsten von Haushalten mit geringerem Einkommen wirkt, die den wesentlichen Teil für Konsumausgaben einsetzen (müssen). Die andere Hälfte entlastet Unternehmen und schafft damit Spielraum für Investitionen.

Auch die längst überfällige komplette Abschaffung des Soli wirkt angebots- und nachfrageseitig. Sie erhöht das verfügbare Einkommen der Steuerpflichtigen und senkt für die meisten eigentümergeführten mittelständischen Betriebe die Unternehmenssteuer, die mit deren persönlicher Einkommensteuer übereinstimmt. Der Investitionsanreiz sollte zudem durch Wiedereinführung der degressiven Abschreibung gefördert werden.

Die Bewältigung der Krise braucht Wettbewerb und keinen Staatskapitalismus. Deutschland wurde und wird in der Welt für seinen überwiegend eigentümergeführten Mittelstand bewundert. Die Corona-Wirtschaft darf nicht zu einer McDonaldisierung des Dienstleistungssektors, des Handwerks oder des industriellen Mittelstands führen. Und schon gar nicht zu einem chinesischen Kommandokapitalismus. Es kann nicht sein, dass sich der Staat willkürlich in Unternehmen einkauft. Dort, wo der Umsatz ins Bodenlose gefallen ist, sollte er sich allenfalls kurzfristig still beteiligen.

Wir haben doch die Erfahrung gemacht, dass die Mittelständler besser wissen, wie man Märkte erobert und innovativ bleibt. Der beste Hersteller von Atemschutzgeräten ist immer noch ein Familienunternehmen aus Lübeck und kein VEB. Wettbewerb bleibt das erfolgreichste Entdeckungsverfahren und das stärkste Entmachtungsinstrument.

Zum Wettbewerb muss sich die Innovation gesellen. Eine steuerliche Forschungsförderung, die größenunabhängig ist, wäre jedenfalls besser als jede Kaufprämie für die Automobilindustrie. Die forschungsstarken Erstausrüster in Stuttgart, München oder Wolfsburg können davon genauso profitieren wie Pharmaunternehmen oder innovative Maschinenbauer.

Die nationale Dimension wird aber nicht ausreichen. Als hochverflochtene Volkswirtschaft braucht Deutschland Europa und die Welt. Freizügigkeit von Personen ist ein europäischer Wert an sich. Es hängt aber auch sehr viel Wertschöpfung daran. Können die Menschen nicht reisen, haut es dem Tourismus die Beine weg. Doch nicht nur das. Es fehlen dann medizinisches Personal, Erntehelfer oder Bauarbeiter. Deshalb muss unter Beachtung der neuen Hygienestandards die Freizügigkeit in Europa wiederhergestellt werden. Das wäre ein wichtiges Signal des europäischen Miteinanders.

Der Vorstoß von Merkel und Macron zu einer Schuldenunion ist es eher nicht. Statt der Kommission die Schuldenaufnahme zu gewähren, sollte lieber der ESM zu einen wirklichen Europäischen Währungsfonds ausgebaut werden. Durch einen politisch unabhängigen Währungsfonds können harte Reformauflagen mit Finanzzusagen verknüpft werden. Eurobonds sind das Gegenteil davon.

Auch die globale Dimension wird in der Post-Pandemie-Ära neu justiert. Viele wollen Freihandel zurückdrehen, stellen die Globalisierung grundsätzlich in Frage. Das ist gerade für Deutschland der falsche Weg. Deutschland braucht die internationalen Absatzmärkte, es braucht verlässliche Zulieferer. Deutschland und Europa sollten daher eine Initiative zur Wiederbelebung der WTO starten. Dazu bedarf es einer neuen Welthandelsrunde. Dort sollten neben den klassischen Zollthemen auch der Investitionsschutz und internationale Wettbewerbsregeln verhandelt werden.

Deutschland first ist genauso falsch wie America first oder China first – es führt zu Lose-Lose-Situationen statt zu Win-Win. Ein massives Zurückdrehen der internationalen Arbeitsteilung führt zu ebenso massiven Verlusten von Wachstum und Arbeitsplätzen. Und zwar bei allen.

Alle Maßnahmen werden nicht reichen, wenn die Menschen nicht zu Vertrauen und Mut zur Zukunft zurückfinden. Es ist wichtig, Risiken zu identifizieren und auch offen zu kommunizieren. Aber es ist nicht nur menschlich, sondern vor allem auch wirtschaftlich ein Unglück, durch anhaltende Warnungen vor denkbaren Entwicklungen der Corona-Pandemie einen Zustand ständiger Verunsicherung zu schaffen oder aufrecht zu erhalten.

Der Mangel an pandemischer Vorsorge darf nicht zu einem Übermaß an staatlicher Fürsorge führen, die den Menschen nicht (mehr) hilft, sondern ihnen die Gewissheit zu nehmen droht, ihr Leben selbst gestalten zu können.