Gastbeitrag Schwarzwälder Bote: Luftbrücke, eigene Produktionskapazitäten, Normalzustand

Gastbeitrag Schwarzwälder Bote: Luftbrücke, eigene Produktionskapazitäten, Normalzustand

Print Friendly, PDF & Email

Die Maßnahmen des gesellschaftlichen Herunterfahrens zeigen erste Wirkung: Die Zeit, in der sich die Anzahl der Infektionen verdoppelt, hat sich allem Anschein nach bereits von zwei auf sechs Tage verlängert. Wünschenswert wäre eine Zielgröße von etwa 12 Tagen, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Das Abflachen der Kurve führt allerdings gleichzeitig dazu, dass sich der Zeitraum der Krise verlängert – mit allen ihren Einschränkungen persönlicher und wirtschaftlicher Freiheit, psychischer und physischer Belastung, die damit einhergehen. Auch nach den ersten Akutmaßnahmen des Bundestags und der Landtage gibt es aktuell eine Reihe von Fragen, die dringend diskutiert werden müssen. Hierbei geht es um mehrere Phasen. Erstens die jetzt bestehende erste Phase mit ihren notwendigen drakonischen Einschränkungen und der Ertüchtigung des Gesundheitssystems. Zweitens die schrittweise Lockerung von Einschränkungen. Drittens das Schaffen eines neuen Normalzustands.

Es gibt Stimmen, die eine Diskussion über die Phasen zwei und drei aktuell ablehnen. Ich gehören nicht dazu: In einer Demokratie muss die Debatte über die Gestaltung der Zukunft möglich sein, auch wenn sie noch drei, sechs oder acht Wochen entfernt ist. Ich glaube auch, dass die Akzeptanz der Maßnahmen auf Dauer weitaus höher sein wird, wenn es als Resultat eines demokratischen Meinungsfindungsprozesses einen Fahrplan gibt, auf den man sich einstellen kann.

In der ersten Phase geht es insbesondere darum, Schutzkleidung, Schutzmasken und Desinfektionsmittel herzustellen und zu verteilen. Es fehlt fast überall an allem, auch im Kreis Freudenstadt. Die Vorräte sind bald aufgebraucht, der Nachschub ist zu gering. Der Dank an Ärzte und Pfleger, aber auch andere Helden des Alltags, dem ich mich ausdrücklich anschließe, darf nicht ohne Folgen bleiben. Der Bund sollte gemeinsam mit Luftwaffe und Lufthansa eine Luftbrücke zu den seriösen Herstellern in China schaffen, damit Nachschub tatsächlich in Deutschland ankommt. Aufgrund der hohen weltweiten Nachfrage wird das allein aber nicht reichen – wir müssen auch in Deutschland massiv Produktionskapazitäten aufbauen. Notfalls muss der Staat hier Abnahmegarantien geben, denn ansonsten lässt sich eine solche Produktion in Deutschland nicht wirtschaftlich betreiben. Analog zum Verteidigungsfall muss es in diesem Bereich eine Pandemiewirtschaft geben.

Auf der wirtschaftlichen Seite müssen als erstes die Liquiditätshilfen nachgebessert werden: Unternehmen zwischen 51 und 249 Mitarbeitern fallen komplett durch das Raster, auch sonst gibt es viele Kritikpunkte an den bisherigen Hilfen. Ich persönlich bin der Meinung, dass der Staat den unmittelbaren Schaden der pauschalen Tätigkeitsverbote übernehmen sollte, so wie er das bisher schon bei individuellen Tätigkeitsverboten tut.

In der zweiten Phase geht es darum, Wege aus dem gesellschaftlichen Herunterfahren zu finden. Die Idee großflächiger Tests – etwa mit den neuen Schnelltests von Bosch – ist inzwischen nahezu Allgemeingut. Dafür müssen aber schnellstmöglich Kapazitäten aufgebaut werden. Es gibt auch andere Ideen – etwa Wirtschaftsinseln mit ausschließlich negativ getesteten Personen, wie sie beispielsweise in Wien Mitarbeiter der Stromwerke praktizieren oder auf Rügen die Freiwillige Feuerwehr. Auch die freiwillige Verwendung von Daten der bereits infizierten Personen, wie sie Südkorea praktiziert, könnte ein Ansatz sein. David Stadelmann von der Uni Bayreuth wirbt für einen anderen Ansatz: Sobald es Antikörpertests gibt, könnte man die bereits Immunen möglicherweise wieder normal weiterleben lassen – allerdings ist nicht gesichert, ob diese Immunität auch bei möglichen Mutationen des Virus weiterbestehen würde. Generell wird viel von der Disziplin der Bürger abhängen: Je genauer sich an die Maßnahmen gehalten wird, desto kürzer werden sie hoffentlich andauern.

In der dritten Phase müssen wir einen neuen gesellschaftlichen Normalzustand finden. Es finden sich bereits jetzt Ideologen, welche die Krise der Marktwirtschaft in die Schuhe schieben wollen – ein Irrsinn, gerade so als ob in sozialistischen Systemen kein gesundheitspolitisches Herunterfahren notwendig sei oder als ob sozialistische Systeme aktuell mit der Krise besser klarkämen. Wir müssen uns darauf einstellen, dass jede bürgerliche Freiheit zur Debatte gestellt wird. So wie es nach Kriegen immer Menschen gab, welche die Kriegswirtschaft und die staatlichen Befugnisse aus Kriegszeiten auf das normale Leben übertragen wollten, wird es diese auch hier geben. Es wäre ein Treppenwitz der Geschichte, wenn wir nach dem Virus auch noch die autoritären Strukturen aus China importieren würden. Hoffnungsfroh stimmt mich, dass die Freien Demokraten und ich persönlich mit unseren Bedenken, etwa gegen die Möglichkeit, einen zeitlich unbefristeten Epidemie-Notstand ohne parlamentarische Kontrolle, zu verhängen, bei den Regierungsfraktionen auf offene Ohren gestoßen sind und diese höchst problematischen Teile der Gesetzesvorschläge letztlich verhindern konnten. Unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung ist stabil, wenn wir alle wachsam sind.