Gastbeitrag Focus Online: Vollständige Entschädigung der Shutdown-Kosten

Gastbeitrag Focus Online: Vollständige Entschädigung der Shutdown-Kosten

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Als Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) vor zwei Wochen bei der Talkshow „hart aber fair“ versprach, durch die Corona-Krise solle kein Arbeitsplatz wegfallen, war dieses Versprechen schon äußerst gewagt. Nach dem aktuellen Stand der staatlichen Hilfen könnte sich das bald als reines Wunschdenken entpuppen.

Das Land hält den Atem an und blickt mit bangen Fragen auf die Entwicklung in unserer Nachbarschaft und unserem Land. Millionen Menschen haben Angst um ihre Gesundheit, ihr Leben, ihre berufliche Existenz.

Der Deutsche Bundestag hat diese Woche ein historisches Hilfspaket für die Wirtschaft aufgelegt. Durch die Nutzung der Ausnahme für Notsituationen in der Schuldenbremse konnte eine Neuverschuldung von 156 Milliarden Euro beschlossen werden. Neben direkten Liquiditätshilfen im Umfang von 50 Milliarden Euro für kleine Unternehmen und Solo-Selbstständige, welche über die Länder ausgezahlt werden sollen, wurde ein Wirtschaftsstabilisierungsfonds aufgelegt. Dieser soll für größere Unternehmen 400 Milliarden Euro für Garantien zur Verfügung stellen, mit 100 Milliarden Euro Unternehmen rekapitalisieren und mit 100 Milliarden Euro KfW-Sonderprogramme refinanzieren. Gleichzeitig übernimmt die KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) bis zu 603 Milliarden Euro Garantien für Kredite.

Kurz: Der maximale Haftungsrahmen für den Staat liegt aktuell bei über 1,3 Billionen Euro. Das sind 40% der Wirtschaftsleistung eines Jahres oder der Bundeshaushalt für etwa vier Jahre. Das klingt nach unglaublich viel. Finanzminister Olaf Scholz nannte es eine Bazooka. Wirtschaftsminister Peter Altmaier sprach davon, dass kein Arbeitsplatz verloren gehen soll.

Also alles in Butter? Wohl kaum. Die Maßnahmen sind zwar prinzipiell sinnvoll, es besteht jedoch die berechtigte Befürchtung, dass die Hilfen nicht flächendeckend ankommen und wirken. Die Rückmeldungen aus der Wirtschaft sind sehr gemischt, teilweise verheerend. Zunächst das offensichtlichste Problem: Unternehmen zwischen 10 und 249 Mitarbeitern haben je nach Bundesland wenig oder gar keinen Zugang zu Liquiditätshilfen. Für sie bleiben nur Kredite, die auch für die anderen Unternehmen den größten Teil der Hilfen ausmachen.

Doch selbst wenn die KfW 90% der Haftung für einen Kredit übernimmt: Welche Hausbank soll denn für ein Unternehmen, das einen Kredit nicht für eine Investition, sondern für die laufenden Kosten braucht, die restlichen 10% der Haftung übernehmen? Wie soll das funktionieren, wenn das Unternehmen aktuell auf unbestimmte Zeit keinerlei Umsätze hat? Eine Bank, die so agiert, würde in vielen Fällen gegen staatliche Bankenregulierung verstoßen.

Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit. Ja, die Kredite werden bei manchen Unternehmen ankommen und manchen Unternehmen auch helfen können. Wer als Kunde normalerweise heute ein Auto gekauft hätte, wird dieses möglicherweise in einem halben Jahr kaufen. Über die Dauer von zwei Jahren wird sich für manchen Autobauer möglicherweise wenig geändert haben, hier reichen Überbrückungskredite völlig aus. Ein Hotelbett, das ich heute nicht belege, kann ich aber nicht morgen doppelt belegen. Ein Theaterstück, das ich heute nicht aufgeführt habe, kann ich nicht morgen doppelt aufführen. Insbesondere Dienstleister stürzt der staatliche Shutdown in eine existenzielle Krise, für die Liquiditätshilfen höchstens Linderung und Kredite möglicherweise gar nichts bringen. Die Bazooka wird zum Rohrkrepierer.

Wohin das führen kann, sehen wir in den USA. Dort haben sich letzte Woche drei Millionen Menschen arbeitslos gemeldet. Dass so viele Menschen so schnell arbeitslos wurden, gab es noch nie. Ähnliches droht uns in Deutschland, wenn die Maßnahmen nicht wirken wie gewünscht. Es ist in Ordnung, wenn die Bundesregierung da versucht, erst einmal zu beruhigen und Ängste zu nehmen. Man darf aber auch keine Erwartungen wecken, die man später nicht erfüllen kann.

Ich warne vor einem bösen Erwachen. Noch wäre Zeit, es anders zu machen. Wir brauchen hier ein radikales Umdenken. Die Grundannahme der bisherigen Hilfen ist es, dass der Staat Almosen verteilt, weil es ein übergeordnetes Interesse am Erhalt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gibt – unser gesamtes Gesellschaftssystem beruht darauf. Das stellt bereits einen legitimen Grund dar. Allerdings ist es umgekehrt. Denn es ist ja der Staat, der aus einer gesundheitlichen Notsituation heraus die wirtschaftliche Freiheit einschränkt, er entzieht sie manchen Unternehmen vollständig.

Wie sich der Staat in einer solchen Situation verhalten sollte, ist im Infektionsschutzgesetz geregelt. Wenn einer Person eine Tätigkeit verboten wird, weil von ihr eine Ansteckungsgefahr ausgeht, hat diese Person einen Anspruch auf eine vollständige staatliche Entschädigung. Die Solidargemeinschaft hat ein Interesse daran, dass diese Person in Quarantäne oder Isolation bleibt, sie greift in Grundrechte dieser Person ein, also haftet sie auch für den entstandenen Schaden.

Anders als bei manch einer bisherigen Wirtschaftskrise bedeutet hier nämlich die Einheit von Handeln und Haften nicht, dass der Staat Unternehmen, die nicht gut gewirtschaftet haben, wegen ihrer Eigenverantwortung dann auch nicht unterstützen sollte. Die Einheit von Handeln und Haften bedeutet hier, dass der Staat für die von ihm notwendigerweise verursachten Schäden vollständig aufkommt. Wenn jetzt pauschal Kinos, Bars, Konzerthallen oder Fußballstadien schließen müssen, weil eine pauschale Ansteckungsgefahr angenommen wird – warum sollten die Entschädigungsregeln hier auch nur ein Jota von den individuellen Tätigkeitsverboten abweichen? Es macht doch für einen Orchestermusiker keinen Unterschied, ob er nicht auftreten darf, weil er selbst krank ist oder ob er nicht auftreten darf, weil es eine Krankheitswelle gibt.

Mir ist bewusst, dass diese Forderung radikal ist. Statt Krediten und Bürgschaften würde sie reale Kosten für den Staat bedeuten. Doch es ist die einzige Möglichkeit, wirklich verantwortungsvoll mit dieser Krise umzugehen. Denn eines darf man nicht vergessen: Auch Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und Armut kosten Menschenleben. Soweit dürfen wir es nicht kommen lassen.

Neben den Hilfen für jene, die vom Shutdown direkt negativ betroffen sind, muss es jetzt auch um die Ertüchtigung der Pandemiewirtschaft gehen. Hier wird derzeit vor allem an das Gesundheitssystem und Lebensmittel gedacht, deren Produktion und Distribution aufrechterhalten werden muss. Die Produktion von Beatmungsgeräten, Schutzkleidung, Atemschutzmasken, Corona-Tests und Desinfektionsmitteln muss hochgefahren werden, indem Firmen mit dem nötigen Knowhow ihre Produktion umstellen und zeitweise zusätzliche Arbeitskräfte einstellen. Dabei geht es vor allem um zentrale Ansprechpartner, um Bedarfe zu koordinieren, und um Möglichkeiten zur Arbeitnehmerüberlassung von Firmen, die aktuell weniger Arbeitskräfte benötigen.

Dass ein Arzt absolut systemrelevant ist, leuchtet jedem sofort ein. Doch auch viele andere Berufe sind jetzt wichtig. Installateure, Schreiner, Ausstatter für das Home Office. Anwälte und Unternehmensberater, die bei der Hilfsbürokratie behilflich sind – und Insolvenzverwalter, die hoffentlich nicht gebraucht werden.

Wenn die akuten Hilfen anlaufen, muss es auch darum gehen, wie und wann der Shutdown beendet werden kann und welche Chancen – etwa zur Digitalisierung – für den dann neuen Normalfall genutzt werden können. Es wird einen neuen Morgen geben, mit neuer Hoffnung und einem Licht am Ende des Tunnels.