THEURER-Interview: Grün-Gelb kann die Koalition der Reformen werden

THEURER-Interview: Grün-Gelb kann die Koalition der Reformen werden

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Das FDP-Präsidiumsmitglied Michael Theurer gab der „Stuttgarter Zeitung“ (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Bärbel Kraus.

Frage: Herr Theurer, wird die Landtagswahl in Baden-Württemberg vor oder nach der Bundestagswahl stattfinden?

Theurer: Vorher, davon gehe ich aus. Trotz Blockade in der schwarz-roten Groko fehlt der Mut für einen Neuanfang.

Frage: Haben Sie Sorge, im Doppelwahljahr in den Abwärtssog im Bund zu rutschen?

Theurer: Die jüngsten Umfragen sehen die FDP im Aufwärtstrend. Wir wollen wachsen, aber nicht um jeden Preis. Zentral ist für uns, dass unser Markenkern sichtbar ist: individuelle Freiheit, Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und die Revitalisierung der sozialen Marktwirtschaft.

Frage: In Ihrer Aufzählung fehlt der Klimaschutz.

Theurer: Nicht nur Greta Thunberg und Fridays for Future haben das Thema erneut auf die Tagesordnung gesetzt. Die FDP steht zu den Klimazielen 2050. Wir wollen sie aber so erreichen, dass Arbeitsplätze erhalten bleiben und unser Wohlstand gewahrt wird. Deshalb setzen wir auf den ökologischen Ordnungsrahmen der Marktwirtschaft. Wir wollen Klimaschutz durch einen funktionierenden CO2-Emissionshandel erreichen, der auf Wärme, Verkehr und Landwirtschaft ausgedehnt wird.

Frage: Der Wahlkampf wird auf jeden Fall ungewöhnlich, weil wir schon mittendrin sind.  Nach der CDU und den Grünen hat auch die FDP ihren Spitzenkandidaten Hans-Ulrich Rülke auf den Schild gehoben, sogar eine Koalitionsaussage gibt es schon.

Theurer: Hans-Ulrich Rülke und ich haben erklärt, dass wir eine Zusammenarbeit mit den Grünen nicht ausschließen. Eine Koalitionsaussage ist das aber nicht. Nach Lage der Dinge besteht 2021 rechnerisch die reale Möglichkeit einer grün-gelben Option in Stuttgart. Grün-Gelb kann eine Reformkoalition werden. Voraussetzung ist, dass es der FDP mit einem starken Wahlergebnis gelingt, die Technologieoffenheit beim Klimaschutz insgesamt, die Wasserstofftechnologie mit synthetischen Kraftstoffen und der Brennstoffzelle in der Autopolitik und entscheidende Weichenstellungen in der Schulpolitik durchzusetzen.

Frage: Klimaschutz als Gretchenfrage der FDP?

Theurer: Ich habe es immer für einen Fehler gehalten, dass die Liberalen ihr ökologisches Profil nicht stärker gepflegt haben. Wir haben 1971 mit den Freiburger Thesen den Umweltschutz in Deutschland erfunden und mit Hans- Dietrich Genscher das Umweltbundesamt gegründet. Die Südwest-FDP ist Vorkämpferin der ökologischen Marktwirtschaft. Klimaschutz ist die Zukunftsherausforderung schlechthin. Allerdings muss er in Einklang gebracht werden mit der Sicherung von Arbeitsplätzen und darf nicht durch eine Verzichtsideologie und Verbote erzwungen werden. Die individuelle Freiheit muss gewährleistet bleiben – auch bei der individuellen Mobilität. Das erreichen wir durch den ökologischen Ordnungsrahmen der Marktwirtschaft, ein funktionierendes Emissionshandelssystem und durch Innovation. Unser Motto heißt: Freiheit for Future und Future by Technology. Übrigens: auf Initiative der Südwest- FDP wurde das klare Bekenntnis zu den Klimazielen 2050 in unser Bundestagswahlprogramm aufgenommen. Die FDP will Klimaschutz zu den geringstmöglichen Kosten erreichen. Die ökologische Marktwirtschaft versöhnt Ökologie und Ökonomie.

Frage: Dass die FDP mal Umweltpionier war, ist ziemlich in Vergessenheit geraten.

Theurer: Leider ist kaum bekannt, dass die Liberalen den Umweltschutz erfunden haben. Die Grundauseinandersetzung zwischen den Ökosozialisten und dem liberalen Ansatz der ökologischen Marktwirtschaft hat sich nicht geändert. Andere wollen ein Verbot von Inlandsflügen, von Fleischkonsum, vom Verbrennungsmotor und flächendeckende Fahrverbote. Das ist der Unterschied: Für die Liberalen ist die individuelle Freiheit ein hohes Gut, das ohne Not nicht geopfert werden darf.

Frage: Sehen Sie Grün-Gelb als Fortschrittsmodell über den Südwesten hinaus?

Theurer: Wenn es 2021 für eine grün-gelbe Koalition in Baden-Württemberg reicht, hat das große bundespolitische Signalwirkung. Ist Grün-Gelb Ihr Favorit?  Wir haben im Land erfolgreich mit der CDU regiert, wir können uns auch eine schwarz-gelbe Regierung vorstellen wie in Nordrhein-Westfalen: Der dortige CDU-Innenminister bekämpft die Bandenkriminalität, der FDP-Integrationsminister schickt Gefährder nach Hause, und der FDP-Wirtschaftsminister befreit die Unternehmen von unnötiger Bürokratie. Das sind alles auch Themen in Baden-Württemberg. Die Entscheidung liegt bei den Wählern.

Frage: Bisher haben vor allem  die Grünen  vertreten,  dass  Ökologie  und  Ökonomie  zusammenpassen. Für die FDP ist das neu.

Theurer: Die Versöhnung von Ökonomie und Ökologie ist die zentrale Herausforderung unserer Zeit. Die stark von den Grünen geprägte aktuelle Klimapolitik ist ideologisch, bevorzugt einseitig die Batteriemobilität und gefährdet Hunderttausende von Arbeitsplätzen und damit auch unseren Wohlstand. Dies muss korrigiert werden. Mit diesem Anspruch tritt die FDP als marktwirtschaftliches Korrektiv an. Wir wollen so stark werden, dass wir unsere Vorstellungen in einer Regierung durchsetzen können.

Frage: Wie sieht die FDP-Autopolitik aus?

Theurer: Wenn es gelingt, in Südeuropa oder in Afrika in großindustriellem Maßstab Wasserstoff und damit auch synthetische Kraftstoffe herzustellen, erreichen wir global einen viel größeren Effekt als alles, was durch kleinteilige Staatsinterventionen erreichbar ist. Weltweit gibt es 1,3 Milliarden Autos mit Verbrennungsmotor. Wenn es zügig mehr klimaneutrale Treibstoffe gäbe – mindestens als Beimischung – wäre das ein Riesenfortschritt. Deshalb fordere ich die Gründung einer Europäischen Wasserstoffunion.

Frage: Was sagen Sie Zweiflern, die die FDP schon umfallen sehen, wenn sie zwischen Wachstum und Klimaschutz entscheiden muss?

Theurer: Soziale Stabilität und Innovationsfähigkeit unseres Landes hängen vom Wachstum ab. Wir müssen nachhaltiges Wachstum generieren. Dirigistischer Klimaschutz führt zur Verarmung und Deindustrialisierung. Damit erreichen wir für den Klimaschutz nichts und gefährden unseren Wohlstand. Das wäre das Dümmste, was wir machen können.