Gastbeitrag Südwestpresse (Neckar-Chronik): Regierung in der Minderheit

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Die Urwahl der neuen SPD-Vorsitzenden könnte eine Zäsur in der deutschen Geschichte einleiten – oder der SPD neues Leben einhauchen. In jedem Fall stehen uns spannende Zeiten bevor. Zunächst möchte ich Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zu ihrem Sieg in der Urwahl gratulieren. Ich wünsche ihnen ein glückliches Händchen, denn auch als Freidemokrat glaube ich daran, dass die Sozialdemokratie weiter einen wichtigen Beitrag zum Wohlergehen unseres Landes und für eine funktionierende Demokratie leisten kann und sollte. Kurzfristig ist leider davon auszugehen, dass diese Entscheidung erneut zur Nabelschau der Regierenden führen wird, dass sich die Bundesregierung erneut mehr mit sich selbst Beschäftigt als mit den Weichen, die sie zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger zu stellen haben.

Wie geht es jetzt weiter? Die beiden neuen Vorsitzenden werden sich vom SPD-Bundesparteitag ein Mandat zur Nachverhandlung der GroKo geben lassen, welches einige Forderungen enthalten wird, welche die Union niemals annehmen kann, wenn dort noch jemand jemals in den Spiegel schauen können will. Dazu dürfte etwa das endgültige Ende der Tarifautonomie durch politisch (statt durch die vielfältig besetzte Mindestlohnkommission) festgesetzte Mindestlöhne gehören. Gut möglich, dass die Union auch diesen Grad an Selbstverleugnung noch trägt. Bereits jetzt bestimmt die SPD die GroKo-Politik, hat in kürzester Zeit fast alle ihre Kernforderungen umgesetzt.

Eine erfolgreiche Nachverhandlung wäre für die SPD also nur „more oft the same“. Vielleicht merkt man im Konrad-Adenauer-Haus aber auch, dass die Strategie der asymmetrischen Demobilisierung nicht mehr zieht und entscheidet sich gegen eine noch weitere Sozialdemokratisierung von Union und Regierungshandeln. Auch die SPD könnte selbstbestimmt aussteigen, auch wenn ihr eine „Erholung in der Opposition“ bisher selten gelang – Baden-Württemberg und Bayern sind abschreckende Beispiele.

Dann gäbe es mehrere Optionen. Am naheliegendsten – auch wenn es in Deutschland auf Bundesebene noch nie probiert wurde – wäre eine Minderheitsregierung. Die Kanzlerin kann alle Ministerien neu besetzen, sie braucht dafür nur die Zustimmung des Präsidenten. Letzterer hat sich in der Vergangenheit offensiv gegen vorzeitige Neuwahlen ausgesprochen. Dass dieses Modell funktionieren kann, sieht man nicht nur in anderen europäischen Staaten wie etwa Dänemark.

Denn nach dem Ende der Jamaika-Sondierungen weigerte sich die SPD, der geschäftsführenden Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD weiterhin im Bundestag eine Mehrheit zu beschaffen. Dort, wo es sich um sinnvolle Vorschläge handelte, stimmten dann Grüne und FDP dafür. Eine solche Minderheitsregierung hätte den Charme, dass endlich wieder im Bundestag ernsthaft um die besten Lösungen gerungen werden müsste.

Die Freien Demokraten werden wie bisher konstruktiv allem zustimmen, was sie für sinnvoll halten. Die Alternative wäre dann Vertrauensfrage, Parlamentsauflösung, vorgezogene Neuwahlen im Frühjahr. Ob dies irgendetwas löst ist mehr als fraglich. Andererseits sollte man davor auch keine Panik haben – unsere Demokratie hält das aus.