Gastbeitrag FNF: Was wir aus dem Lambsdorff-Papier lernen können

Gastbeitrag FNF: Was wir aus dem Lambsdorff-Papier lernen können

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Zum zehnten Todestag von Otto Graf Lambsdorff muss man über seine größte Wegmarke reden: Das für Bundesrepublik und FDP wegweisende Lambsdorff-Papier. Was waren die Voraussetzungen dafür und was können wir heute noch daraus lernen?

Ende August 1982: In einer kaum mehr von gemeinsamen Politikvorstellungen getragenen sozialliberalen Koalition fordert Bundeskanzler Helmut Schmidt seinen Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff dazu auf, dessen immer wieder von der SPD divergierenden wirtschaftspolitischen Vorstellungen zu Papier zu bringen. Bereits etwas mehr als eine Woche später liefert Lambsdorff, die Überlegungen waren bei ihm und in seinem Ministerium bereits lange gereift. Er legt das „Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ vor. Medien und SPD sind erzürnt. Mit den vier Säulen „Konsolidierung des Haushalts“, „Anreize zu arbeitsplatzfördernden Investitionen“, „Eindämmung der explodierenden Sozialstaatskosten“ und „Deregulierung im Inneren und nach Außen“ präsentiert der als Marktgraf bekannt gewordene Wirtschaftsminister einige bittere Pillen für den Patienten Deutschland, die zu schlucken die Sozialdemokraten nicht bereit sind. Das als „Scheidungspapier“ bekannt gewordene marktwirtschaftliche Manifest markiert eine Zäsur in der Geschichte von Freien Demokraten und Bundesrepublik, es ist der Startschuss für den Koalitionswechsel zur Union.

Die damals christlich-liberal genannte Koalition setzt einiges (wenn auch bei Weitem nicht alles) um, beispielsweise die aus heutiger Sicht große Einkommenssteuerreform. Die Stagflation konnte durch die angebotsorientierte Politik und den zunehmend zusammenwachsenden Binnenmarkt der Europäischen Gemeinschaft überwunden werden. Auf die Gesundung Ende der 80er folgt die erneute deutliche Abschwächung der deutschen Wirtschaft in den 90ern mit erneut merklichen Krisentendenzen.

Noch über 20 Jahre später hallt das Papier so deutlich nach, dass die rot-grüne Bundesregierung (mit kräftiger Unterstützung von FDP und CDU im Bundesrat) erneut spürbar vom Lambsdorff-Papier inspirierte Maßnahmen umsetzt, die Agenda 2010. In der Folge gesundet der nunmehr als „Kranker Mann Europas“ bekannte deutsche Patient erneut.

Lambsdorff-Papier hallt bis heute nach

Warum aber hatte das Papier dermaßen viel Einfluss? Was unterscheidet es von heutigen Papieren?

Zunächst könnte man argumentieren, dass darin einiges enthalten war, das einem Tabubruch gleichkam – und so manches, das auch heute noch zurecht ein Tabubruch wäre, beispielsweise BAföG-Kürzungen. Dass das Papier den Wandel der FDP von keynesianischer Nachfrage- zu liberaler Angebotspolitik markierte. Doch beides ist wenig plausibel, trifft es doch in maßgeblichen Teilen auch bereits auf die Kieler Thesen, das bereits fünf Jahre zuvor beschlossene damals gültige Grundsatzprogramm der FDP zu.

Sucht man weiter in der Geschichte des deutschen Liberalismus, so gibt es noch ein anderes Papier, das ähnlich einflussreich war wie das Lambsdorff-Papier: Die Freiburger Thesen. Das von 1971 bis 1977 gültige Grundsatzprogramm – an dem übrigens Otto Graf Lambsdorff ebenfalls mitwirkte – hat ganze Generationen von Liberalen politisiert und hallt ebenso wie das Lambsdorff-Papier bis heute nach.

Beide Schriftstücke waren Positionsbestimmungen in der jeweiligen Zeit. Beide hatten aber vor allem eine machtpolitische Dimension, die Ihnen politische Relevanz und damit große Reichweite und Durchschlagskraft bescherte.

Die Freiburger Thesen bildeten das inhaltliche Fundament für die bereits gebildete sozialliberale Koalition. Das Lambsdorff Papier bildete die inhaltlich fundierte Begründung für den Koalitionswechsel zur Union und die politische Wende 1982/83.

Wollte man heute eine ähnliche Wirkung erzielen, so würde es dafür nicht reichen, irgendeine stimmige Positionsbestimmung darzulegen, wie es etwa die Karlsruher Freiheitsthesen 2012 waren. Man müsste diese wie 1971 und 1982 mit einer zeitnahen Option auf eine reale Umsetzung verknüpfen. Eine Möglichkeit für ein entsprechendes Szenario wäre, durch eine Vertiefung etwa von digitaler Wettbewerbspolitik, durch ein schlüssiges Konzept zum Übergang in die Kreislaufwirtschaft, durch die Versöhnung von Ökonomie und Ökologie und letztlich durch eine spezifisch darauf zugeschnittene Themenpriorisierung eine inhaltlich begründete, nachdrückliche und symbolträchtige Öffnung zu den Grünen zu vollziehen.