Gastbeitrag FAZ: Marktwirtschaftliche Grundsätze

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An diesem Donnerstag jährt sich der Todestag des früheren Bundeswirtschaftsministers und FDP-Ehrenvorsitzenden Otto Graf Lambsdorff zum zehnten Mal. Eine gute Gelegenheit, um an marktwirtschaftliche Grundsätze zu erinnern und daran, dass die von ihm schon 1982 vorgezeichneten Agenda-Reformen uns zuletzt ein gutes Jahrzehnt beschert haben. Was ist zu tun, damit aus diesem einen guten Jahrzehnt ein gutes Jahrhundert wird?

Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. In welcher Lage befinden wir uns? Das politische Berlin ist erstarrt. Es gibt keinen Gestaltungswillen, keine Visionen und keinen Optimismus in der Bundesregierung. Sie wird nur noch getrieben von den populären einfachen Lösungen der Grünen und Linken, sie wird gelähmt von der Angst vor einem weiteren Erstarken des nationalistischen Populismus. Wie das Kaninchen vor der Schlange kann sie ihren Blick kaum von den desaströsen Umfragezahlen lösen. Wenn man sich auf etwas einigen kann, dann sind es wie bei Kohlekommission und Grundrente Gießkannen-Kompromisse, die mit Steuermilliarden teuer erkauft werden. Wir leben von der Substanz.

Der Zustand der großen Koalition wird in der Bevölkerung deutlich wahrgenommen und mit einem stark gesunkenen Systemvertrauen quittiert. So zeigte etwa eine Allensbach-Umfrage in dieser Zeitung, dass nur noch 51 Prozent der Befragten das politische System als Stärke Deutschlands sehen, nur noch 26 Prozent sagen dies über die Regierung. Machterhalt ist keine Zukunftsstrategie – und Machterhalt durch Kamelle-Politik erst recht nicht.

Die deutsche Wirtschaft stagniert, die Wachstumserwartungen sind die zweitniedrigsten in der Europäischen Union. Immer mehr zeigt sich: Wir sind nicht auf Wohlstand und die Bundesregierung ist nicht auf Rekordsteuereinnahmen abonniert. Ebenfalls muss man anerkennen, dass der Einfluss Deutschlands in der Welt begrenzt ist. Er rührt nicht aus unserer Einwohnerzahl oder der militärischen Stärke, sondern aus unserer Wirtschaftskraft. Diese ist geprägt von wenigen Schlüsselindustrien und einem starken Mittelstand – nirgends sonst gibt es eine so hohe Konzentration an Hidden Champions.

Doch gerade hier schlagen die in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegenen Bürokratiekosten und gestiegene Steuer- und Abgabekosten besonders stark durch. Als Konsequenz fehlen vielerorts die Gelder für den Sprung in die umfassende Digitalisierung, in das Internet der Dinge. Es bildet sich eine Technologie- und Innovationslücke. Im Wettbewerb haben Unternehmen aus den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich und Italien durch die dortigen Unternehmensteuerreformen die Nase vorn. Wer die Wirtschaft links liegenlässt, darf sich über Probleme von rechts nicht wundern.

Nach der Betrachtung der Wirklichkeit folgt der zweite Schritt. Das Land muss sich eine Richtung, eine Zielvorstellung geben. Wie soll Deutschland 2050 aussehen? Mein Vorschlag für eine solche Zielsetzung ist der folgende: Wir sollten das Land werden, das die Grundwerte der pluralistischen liberalen Demokratie westlicher Prägung – Privatsphäre, Rechtsstaat, Meinungsfreiheit – gemeinsam mit unseren europäischen Partnern in die digitale Welt übertragen hat. Wir werden durch die weltbeste Bildung in einer Gesellschaft glücklicher, interessierter, neugieriger und produktiver Menschen leben. Wir werden Digitalisierung mit industrieller Wertschöpfung verknüpft haben und als Entwicklungszentrum der Welt einen substantiellen Beitrag zum Fortschritt der Menschheit leisten. Das Klimaproblem werden wir durch konsequente Anwendung des technologischen Fortschritts gelöst haben. So weit meine Vision.

Wenn wir in diesen Zeiträumen und Maßstäben denken, haben wir sofort einen anderen Blick auf die Dinge. Wenn das Ziel ist, dass es unsere Kinder einmal besser oder zumindest gleich gut haben wie wir, ergibt sich ein Programm, in dem der Leistungsgedanke im Vordergrund steht, wo Gerechtigkeit als Leistungs- und Generationengerechtigkeit verstanden wird. Keines der Ziele ist durch bloße Verteilungspolitik zu erreichen. Kurzfristige Konsumbedürfnisse rücken gegenüber Investitionen in den Hintergrund, erratische Eingriffe sind kontraproduktiv, ordnungspolitische Leitlinien sind zentral. Vision 2050 bedeutet: Freiheit for Future. Future by Technology.

Trotz der langfristigen Zielsetzung kann man damit sofort anfangen. Dass der Mittelstand mehr Freiräume bekommt, in zukünftige Wettbewerbsfähigkeit zu investieren, kann etwa mit der vollständigen Soli-Abschaffung sofort im Bundestag beschlossen werden. Dass bei zu geringem Wirtschaftswachstum ein Belastungsmoratorium verhängt wird, dass unnötige Bürokratie in großem Umfang gestrichen wird und dass der kleinteilige Aktionismus in der Klimapolitik zugunsten eines (zunächst nationalen) echten Emissionshandels und echter Technologieoffenheit gestoppt wird, ebenso. Für längerfristige Projekte wie etwa ein gleichermaßen weltoffenes und steuerndes Einwanderungsgesetz, eine digitale Investitionsoffensive oder Vereinfachungen für Start-ups kann der Bundestag in kürzester Frist die Grundsteine legen.

Erschienen in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (Ausgabe: Mittwoch 04.12.2019)