SWR2 Tagesgespräch: EU sollte Briten Zeit für ein zweites Referendum geben

SWR2 Tagesgespräch: EU sollte Briten Zeit für ein zweites Referendum geben

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Die parlamentarische Sommerpause geht zu Ende und in Sachsen und Brandenburg wurde gewählt. Anlass genug also für die Bundestagsfraktionen, ihren Kurs für die neue Sitzungsperiode abzustecken. Gerade war es schon Thema in den Nachrichten: In Jena treffen sich ab heute die 80 Abgeordneten der FDP-Fraktion. In den Länderparlamenten von Sachsen und Brandenburg sind die Liberalen wieder einmal nicht vertreten. Welche Schlüsse zieht die Partei aus den jüngsten Wahlschlappen und was bestimmt sonst den Kurs der FDP im Bundestag – darum geht es jetzt im SWR2 Tagesgespräch. Sabine Hackländer interviewt den FDP-Fraktionsvize Michael Theurer.

Sabine Hackländer: Guten Morgen, Herr Theurer.

Michael Theurer: Guten Morgen, Frau Hackländer.

Sabine Hackländer: Bevor wir uns mit der FDP Fraktionsklausur beschäftigen: Ein Wort zu den Turbulenzen in London. Das Brexit-Drama haben Sie in Ihrer Zeit als EU-Abgeordneter bis Ende 2017 von Anfang an mitverfolgen können. Trauen Sie den Briten zu, hier noch eine Entscheidung zu treffen, die das Land einerseits weiter eng mit Europa verbindet, es aber andererseits nicht innerlich zerreißt?

Michael Theurer: Also die Debatte gestern im britischen Unterhaus war ja eine Sternstunde des Parlaments durch den Übertritt eines konservativen Abgeordneten zu unseren Freunden von den Liberaldemokraten, die für einen Verbleib der Briten in der EU kämpfen. So hat ja Boris Johnson eine Mehrheit verloren. Boris Johnson war es ja, mit anderen Brexit Anhängern, die den Menschen in Großbritannien weisgemacht haben, dass ein einfacher Brexit möglich ist – ein einfacher Deal mit der EU – und jetzt stellt sich heraus, dass das ja ganz anders ist. Insofern hoffe ich, dass das britische Parlament, dieses Gesetz, dass es keinen Austritt ohne die EU geben kann, durchbringt. Damit steigen die Chancen, dass Großbritannien entweder in der EU bleibt oder es eben ein Abkommen gibt, das für beide Seiten die Dinge regelt und das vorteilhaft gerade für Deutschland und unsere Wirtschaft ist.

Sabine Hackländer: Aber angenommen, die Opposition schafft es wirklich, einen No-Deal-Brexit in letzter Sekunde zu verhindern: Dann ginge das Ganze Drama ja erneut in die Verlängerung. Macht das aus EU-Sicht wirklich Sinn? Schließlich wäre damit weiterhin nichts entschieden.

Michael Theurer: Richtig ist, dass eine Hängepartie für die EU problematisch ist. Aber bei einer so historischen Weichenstellung darf es dann auch nicht auf einige Monate ankommen. Ich kämpfe jedenfalls im Bundestag dafür, dass das Signal der Deutschen an die Briten ist: Die Tür bleibt offen. Und es ist ja ein Treppenwitz der Geschichte, dass es praktisch in Großbritannien nur ein einziges Referendum gibt. Also in der Schweiz, dem Mutterland der direkten Demokratie würde man natürlich auch über den konkreten Austrittsvertrag abstimmen lassen. Also ich glaube, dass die Position der Liberaldemokraten richtig ist, ein zweites Referendum abzuhalten. Und die Zeit sollte die EU den Briten auch geben.

Sabine Hackländer: Dann schauen wir auf die FDP. Wie sehr sind Sie denn nach den Wahlschlappen in Brandenburg und Sachsen auf Sinnsuche? Gibt es einen Anlass, über den weiteren politischen Kurs nachzudenken? Oder zumindest nachzujustieren?

Michael Theurer: Selbstverständlich denken wir darüber nach, denn in Brandenburg und in Sachsen haben wir zwar zehntausende Wählerinnen und Wähler dazugewonnen. Aber es hat eben – wieder einmal – in den neuen Ländern nicht gereicht. Wir blicken jetzt nach Thüringen, da müssen wir eine Schippe drauflegen. Klar, das ist für uns ein Weckruf. Die FDP muss lauter werden, sie darf allerdings nicht radikaler werden. Und wir wollen und werden auch nicht den Zeitgeist, egal ob Grüne oder AfD, nachlaufen. Sondern wir müssen unser eigenes Profil schärfen. Vor allem die Revitalisierung der sozialen Marktwirtschaft und die Durchsetzung der rechtsstaatlichen Ordnung.

Sabine Hackländer: FDP-Vizeparteichef Kubicki hat in einem Interview ja zu einem Strategiewechsel im Umgang mit der AfD und ihren Wählern geraten. Ist das etwas, das in der Fraktion beraten wird und wenn ja, wie könnte dieser andere Umgang aussehen?

Michael Theurer: Also diese Thematik wird natürlich heute breiten Raum annehmen. Ich halte den Wolfgang Kubickis Ansatz zu sagen, wir setzen uns argumentativ noch stärker mit der AfD auseinander, für absolut richtig. Zum Beispiel sind ja die Themen etwa der Migration auch Themen, die uns beschäftigen. Wir wollen als Freie Demokraten keine ungeregelte Einreise nach Deutschland. Wir fordern seit sieben Jahren ein Einwanderungsgesetz, das eben auch die Arbeitsmigration regelt. Wir haben Fachkräftemangel und der einzige Weg nach Deutschland zu kommen ist praktisch über das Asylrecht und als Flüchtling: Das passt doch nicht zusammen! Es heißt also, wir haben die besseren Konzepte und scheuen die inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD nicht. Aber einem Zeitgeist nachlaufen, davon halte ich nichts.

Sabine Hackländer: Ähnlich argumentiert ja auch Links-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht, die von einer Entfremdung ihrer Partei von diesem Wählermilieu spricht und ihrer Partei eine Mitschuld am Erstarken der AfD gibt. Gilt diese Verantwortung möglicherweise auch für alle anderen etablierten Parteien, inklusive der FDP?

Michael Theurer: Also Fakt ist ja, dass die Linken massiv verloren haben, während die FDP dazu gewonnen hat, wenn auch nur geringfügig. Klar ist natürlich, dass wir eine Alternative für Demokraten anbieten wollen und müssen, wenn Wählerinnen und Wähler sagen, sie sind unzufrieden. Wir haben ja ganz klar in Medienberichten Bürgerinnen und Bürger, die sich dazu bekennen, die AfD gewählt zu haben und die sagen, sie wollten das ganze System mal durchrütteln. Und genau da setze ich an. Bisher hat die AfD massiv Kritik an der Bundesregierung vorgetragen, ohne aber zu sagen, wie sie es anders und besser machen will. Wir Freie Demokraten tragen konstruktive Kritik vor. Wir erleben beispielsweise eine Energiewende, die dazu führt, dass die Deutschen die höchsten Strompreise haben, aber die Deutschen die Klimaschutzziele verfehlen. Andere europäische Länder schneiden da besser ab. Deshalb fordern wir ja eine marktwirtschaftliche Politik, die die Ziele erreicht, aber die Wirtschaft und die Arbeitsplätze nicht gefährdet.

Sabine Hackländer: Vielen Dank. Das war im SWR2 Tagesgespräch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Bundestag Michael Theurer.