Handelsblatt-Gastbeitrag: Warum die Gründernation Deutschland den Anschluss verloren hat

Handelsblatt-Gastbeitrag: Warum die Gründernation Deutschland den Anschluss verloren hat

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Es gibt eine lebendige Gründerszene in Deutschland. Ob sie sich aber am Weltmarkt durchsetzen kann, ist fraglich – die Bürokratie bremst.

Worte sagen viel, Taten die Wahrheit. Mitte April dieses Jahres erklärte Wirtschaftsminister Altmaier bei einem Treffen mit dem Beirat „Junge Digitale Wirtschaft“, dass Start-ups eine hohe Bedeutung für unseren Wirtschaftsstandort hätten, da sie Innovationen voranbrächten und der Motor des strukturellen Wandels seien. Just am gleichen Tag stimmte der EU-Ministerrat mit der Stimme Deutschlands jedoch für die Urheberrechtsreform und damit für die Einführung von Uploadfiltern.

Das war nicht nur ein Bruch des Koalitionsvertrags, sondern auch eine Gefährdung der deutschen und europäischen Start-up-Szene. Zudem kritisierte der Chef der Wirtschaftsweisen, Christoph Schmidt, jüngst die Industriestrategie von Altmaier: Man dürfe nicht der Illusion erliegen, man könne ganze Volkswirtschaften zentral von oben steuern, als wären sie große, hierarchisch organisierte Unternehmen. Recht hat er. Eine staatlich gelenkte Wirtschaft stellt Großkonzerne unter Artenschutz und zerstört Innovations- und Gründerkultur.

Bosch, Daimler, Siemens – diese Unternehmen entstammen einer Zeit, in der Deutschland eine Gründernation war. Doch Globalisierung und Digitalisierung verändern unsere Wirtschaft. Treiber dieser Entwicklung sind digitale Plattformen und global agierende Technologieunternehmen. Das führt nicht nur zu neuen Produkten und Geschäftsmodellen, sondern auch zu einem Umbruch traditioneller Marktlogiken.

Es gibt inzwischen eine lebendige Gründerszene in Deutschland. Fraglich ist jedoch, ob sie sich am Weltmarkt durchsetzen kann. Denn global dominierend sind andere. Heutzutage sind die großen Player Unternehmen wie Amazon, Google, Alibaba und Tencent. Diese gewinnen immer mehr Marktmacht, schlucken Wettbewerber und wirken, als wären sie kaum zu bändigen.

Doch warum hat die einstige Gründernation Deutschland den Anschluss verloren? Seit 2011 geht die Zahl der Gründungen in Deutschland stetig zurück. Vom ungenügenden Zugang zu Wagniskapital über fehlende digitale Infrastruktur bis zur überbordenden Bürokratie wird Gründern der Schritt zum eigenen Unternehmen erschwert. Noch immer müssen sie unzählige Anträge bei Behörden stellen und lange auf eine Bearbeitung warten. Im internationalen Gründungsranking der Weltbank ist Deutschland auf den 114. Platz zurückgefallen.

Der Großen Koalition ist es in den vergangenen Jahren jedenfalls nicht gelungen, nachhaltige Lösungen für bekannte Probleme zu schaffen. Von 30 im Koalitionsvertrag angekündigten Versprechen zur Förderung von Start-ups wurden bislang lediglich drei umgesetzt. Im Hinblick auf Wagniskapital wurden existierende Förderprogramme wie etwa Exist, Invest oder Hightech-Gründerfonds weiterentwickelt, jedoch nicht der große nationale Digitalfonds aufgelegt.

Wagniskapital fehlt oftmals

Der wäre allerdings mehr als dringend erforderlich. Denn trotz der 21 verschiedenen Finanzierungsinstrumente für Existenzgründerinnen und Existenzgründer haben Start-ups in Deutschland oft Schwierigkeiten, ausreichend Wagniskapital zu erhalten. Während Gründer in den USA Ideen pitchen, füllen sie in Deutschland noch immer Antragsformulare aus.

In der zweiten Wachstumsphase, wenn zweistellige Millionenbeträge gebraucht werden, um Start-ups der Tech-Szene auf die nächste Stufe zu bringen, reißen in Deutschland die Finanzierungsketten oft ab. Die in der Plattformökonomie notwendige Skalierung kann so nicht gelingen. Inländische Investoren gibt es schon wegen der steuerlichen Rahmenbedingungen für diese Phase kaum.

Dann kommen ausländische Investoren zum Zuge. Besitzen diese erst einmal Anteile, ist es nur noch ein kurzer Weg, bis Start-ups ins Ausland abwandern. So wird es allerdings kein deutsches oder europäisches Google oder Facebook geben. Dies schadet nicht nur dem Wettbewerb, sondern auch dem Standort Deutschland.

Was ist jetzt zu tun? Wir müssen Deutschland zur Gründerrepublik machen! Ziel muss sein, dass Unternehmensgründungen innerhalb von 24 Stunden möglich sind. Wir brauchen zudem mehr Wagniskapital in Form eines Zukunftsfonds und müssen die Gründer- und Innovationskultur fördern, beispielsweise durch die Einrichtung von Freiheitszonen.

Außerdem sollten wir der Marktmacht der großen Player mit einem schlagkräftigen und zeitgemäßen Wettbewerbsrecht begegnen, damit auch jüngere Unternehmen faire Wettbewerbsbedingungen vorfinden. Deutschland muss jetzt aufholen. Dafür braucht es mehr als Worte des Bundeswirtschaftsministers. Es sind Taten gefordert.