Kolumne Neckarchronik: Chancen verschlafen

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Wäre die deutsche Volkswirtschaft ein Unternehmen, müsste man zum aktuellen Zeitpunkt eine Gewinnwarnung herausgeben. In den Wachstumserwartungen haben wir nur noch den vorletzten Platz in der Europäischen Union, knapp vor Italien. Der Maschinenbau veröffentlichte jüngst Horrormeldungen, denen zufolge der Auftragseingang um einen zweistelligen Prozentsatz eingebrochen ist. Ob Evonik, Media Markt, SAP oder Ford – überall wird Stellenabbau angekündigt.

Währenddessen werden Daimler und VW von der Politik durch neue Flottengrenzwerte in eine fragwürdige Elektro-Strategie gezwungen: Laut VW verbraucht ein E-Golf mit einer optimistischen Lebensdauer von 200000 Kilometern etwa gleich viel CO2 wie ein Golf-Diesel. Dennoch sollen Elektroautos mit einem CO2-Ausstoß von null veranschlagt werden. Das ist aller Voraussicht nach fatal: Nach einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, welches als Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit einige der deutschlandweit führenden Forscher in diesem Bereich beschäftigt, kostet eine Elektrostrategie im besten Fall über 100000 überwiegend sehr gut bezahlte Arbeitsplätze in Deutschland, vor allem bei Zulieferern. Sollten die deutschen Hersteller ihre Rückstände gegenüber Tesla und den bereits bestehenden dutzenden chinesischen Herstellern nicht aufholen können, wären die Auswirkungen noch deutlich fataler.

Die Regierungen in Bund und Land haben es viel zu lange verschlafen, die Voraussetzungen für zukünftigen Wohlstand zu schaffen – niedrige Investitionen in Bildung und Infrastruktur, aber dafür jahrelange Wahlgeschenke der großen Koalition. Es wird jedoch nicht nur zu wenig Geld investiert, sondern teils auch einfach falsch – siehe Berliner Flughafen.

Dass jedoch die Bundesregierung gegen diese nachdrückliche Zerstörung der deutschen Industrie nicht einmal ein Wort des Widerspruchs findet, schlägt dem Fass den Boden aus.

Wenn dieser Tage ein Bild durch das Internet geistert, auf dem Transparente mit „Keine Windräder in unserem Wald“, „Stopp Kohle jetzt“ und „Atomkraft? Nein danke“ direkt nebeneinander hängen, fragt man sich schon, woher der ganze Strom für die Elektroautos denn kommen soll. Wasserkraft zerstört ebenso die Umwelt, Gas wird nach Kohle wahrscheinlich das neue Feindbild und dann wird es langsam eng.

Nachhaltige Entwicklung kann nur durch das gleichzeitige und gleichberechtigte Umsetzen von umweltbezogenen, wirtschaftlichen und sozialen Zielen erreicht werden. Da müssen wir hinkommen: Mit Technologieoffenheit und technischem Fortschritt Umwelt und Klima schützen, ohne unseren Wohlstand zu vernichten.

Deutschland hat das Potenzial und alle Chancen, das im historischen und internationalen Vergleich positiv herausragende Niveau an Wohlstand, Stabilität und Sicherheit zu halten. Dies erreichen wir aber nicht im Schlafwagen. Wie auch in der Vergangenheit werden große Anstrengungen nötig sein, um Spitzenleistungen abzurufen – vom Naturwissenschaftler und der Managerin über den Produktionsingenieur bis zur Fließbandarbeiterin sind alle gefordert, den Fortschritt anzutreiben. Der Staat muss ihnen dazu die Freiräume lassen und endlich seine Kernaufgaben Bildung und Infrastruktur vernünftig erledigen!