Interview Deutschlandfunk: Wir brauchen Fördern und Fordern

Interview Deutschlandfunk: Wir brauchen Fördern und Fordern

Michael Theurer,FDP, MdB. Bundestagsabgeordneter, Abgeordneter Ordnungsnummer: 3984039 Name: Theurer, Michael Ereignis: Porträt/Portrait Nutzungsbedingungen: http://www.bundestag.de/bildnutz Es werden nur einfache Nutzungsrechte eingeräumt, die ein Recht zur Weitergabe der Nutzungsrechte an Dritte ausschließen.

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Frage: Herr Theurer, ist Hartz IV ein Auslaufmodell?

Theurer: Die Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen oder über das liberale Bürgergeld bekommt ja mit den Vorschlägen von Andrea Nahles und Herrn Habeck neues Tempo. Darüber freuen wir uns. Allerdings ist das, was Frau Nahles vorschlägt, nicht nur Ideenklau, sondern die Substanz ist mau. Es ist ein Etikettenschwindel. Das was wir wollen mit dem liberalen Bürgergeld, ist was ganz anderes.

Frage: Dann sagen Sie uns zunächst mal, was macht Andrea Nahles falsch nach Ihrer Ansicht mit diesem Vorschlag?

Theurer: Sie beerdigt den letzten Erfolg der Agenda 2010 Reform. Wir erinnern uns: Damals fünf Millionen Arbeitslose und Deutschland der kranke Mann Europas. Dieser letzte Reformerfolg wird jetzt zu Grabe getragen. Denn die Schwächen, die es damals gab, nämlich die Sozialhilfe über die Kommunen und die Arbeitslosenhilfe, das hat man ja nicht umsonst zusammengelegt. Allerdings hat das jetzige System viele Schwächen, die die FDP seit vielen Jahren kritisiert. Insbesondere sind die Anreize, dazuzuverdienen, gering, denn wenn gerade Grundsicherungsempfänger beginnen, dazuzuverdienen, dann wird ihnen durch Transferentzug und Abgaben am Ende bis zu 100 Prozent abgezogen. Das heißt: Derjenige, der arbeitet, hat nicht mehr. Und wir als FDP sind der Meinung: Wer morgens aufsteht, um in die Frühschicht zu gehen oder jetzt um sechs zur Arbeit zu fahren, der sollte mehr haben als der, der liegen bleibt.

Frage: Aber dann wäre doch so ein Bürgergeld, was Andrea Nahles vorschlägt, gar nicht mal schlecht. Eine Abkehr von Hartz IV und mehr etwas Richtung Grundeinkommen, etwas, was jeder Mensch ohne Arbeit, ohne allzu viel Bürokratie sofort zugestanden bekommt, und dann kann er dazuverdienen, wenn er möchte.

Theurer: Wir sind uns einig in der Kritik, dass die Bürokratie ein Fehler ist. Da klagen ja auch die Betroffenen tatsächlich drüber. Wir wollten als Freie Demokraten mit dem liberalen Bürgergeld ja eine negative Einkommenssteuer. Das heißt: Wer arbeitet, bezahlt Steuern an das Finanzamt. Wer unter das Existenzminimum fällt, der bekommt dann Geld vom Staat. Das Problem bei dem Vorschlag von Frau Nahles und mehr noch beim Grünen-Vorschlag von Herrn Habeck ist die Frage, ob es dann in Zukunft überhaupt noch Sanktionen gibt. Wir sind der Meinung, wir brauchen Fördern und Fordern. Das heißt: Derjenige, der auf Leistungen der Solidargemeinschaft – da geht es ja um Versichertengelder und um Steuergelder – angewiesen ist, der muss sich um eine Arbeitsaufnahme und Qualifizierung kümmern. Und man kann auch zumuten, dass jemand aus einem Bereich mit hoher Arbeitslosigkeit, etwa Berlin oder im Ruhrgebiet, umzieht auf die Ostalb, wo wir praktisch Vollbeschäftigung haben und dringend Fachkräfte suchen.

Frage: Nun ist es aber so, dass in vielen Berufen schlicht keine Jobs mehr da sind, oder auch keine Jobs, die ein auskömmliches Einkommen garantieren. Da wäre ja so ein Grundeinkommen quasi eine Lösung eines lange bestehenden Problems.

Theurer: Fakt ist, dass es in Deutschland praktisch Fachkräftemangel gibt. Es fehlen ja nach Schätzungen 400.000 Arbeitskräfte. Das führt zu einem Wohlstandsverlust von einem Prozentpunkt laut Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln. Das sind 30 Milliarden Euro Wohlstandsverlust. Wir sagen, solange es einen solchen Fachkräftebedarf gibt, muss es auch möglich sein, dass diejenigen, die die Solidargemeinschaft in Anspruch nehmen, große Leistungen erbringen, um wieder in Arbeit und Brot zu kommen.

Frage: Aber haben Sie tatsächlich den Verdacht, dass es Fachkräfte, gut ausgebildete Fachkräfte geben könnte, die arbeitslos werden und die sich dann auf so einem Hartz-IV-Satz – ich sage es jetzt mal polemisch – einfach ausruhen würden? Oder ist es nicht eher so, dass diese Leute sowieso von sich aus gerne wieder einen neuen Job bekommen würden?

Theurer: Die Betroffenen sind alle in einer schwierigen Situation. Deshalb gibt es ja auch soziale Sicherungssysteme, die helfen. Fördern ist in Ordnung, aber wir wollen auch Fordern, und deshalb ist die geforderte Abschaffung jeglicher Sanktionen, die Frau Nahles da ins Gespräch gebracht hat, aber auch Herr Habeck, die auch im Zusammenhang mit dem bedingungslosen Grundeinkommen immer wieder diskutiert wird, die halten wir für falsch. Und ich erlaube mir noch mal den Hinweis: Wir haben in Deutschland 1,8 Millionen offene Stellen. Jeder dritte Handwerksbetrieb beispielsweise klagt darüber, dass die Ausbildungsstelle überhaupt nicht besetzt werden kann. Gleichzeitig wird hier behauptet, dass vor allen Dingen Kinder und Jugendliche von Hartz IV betroffen sind. Wir glauben, es kommt vor allen Dingen darauf an, Menschen in Arbeit zu bringen.

Frage: Kinder und Jugendliche, da geht es natürlich immer darum, dass das Kindergeld mit Hartz IV verrechnet wird, dass bei den Bedürftigen dann überhaupt kein Kindergeld mehr ankommt. Auch das prangert die SPD ja an. Aber ich will noch mal zurückkommen auf die Fachkräfte und auf den Fachkräftemangel. Glauben Sie tatsächlich, dass man einen gut ausgebildeten Facharbeiter oder eine Facharbeiterin, die viel auf dem Kasten hat, die lange Berufserfahrung hat und die ihren Job verloren hat, muss man die wirklich fordern dazu, sich wieder zu bewerben auf einen Job? Braucht die das?

Theurer: Alleine mit Sanktionen geht es nicht, aber wir wollen auf Sanktionen insgesamt nicht verzichten. Wir wollen schon, dass es Anstrengungen derjenigen gibt, die die Solidargemeinschaft in Anspruch nehmen. Sie fragen mich, ob ich das glaube. Es gibt solche Beispiele und auch andere, und es geht natürlich schon um Leistungsanreize. Das ist der zentrale Punkt des liberalen Bürgergeldes. Wir wollen die Hinzuverdienstgrenzen so verändern, dass es sich auch für Hartz-IV-Bezieher lohnt, einen Job anzunehmen, einen geringfügigen oder dann zunehmend auch wieder einen vollständigen Job, ohne dass dann in der Übergangsphase des Hinzuverdienens praktisch der gesamte Hinzuverdienst durch Transferentzug und durch eine dann einsetzende Abgaben- und Steuerpflicht wegfällt. Das ist der zentrale Punkt, und wenn das Frau Nahles …

Frage: Herr Theurer! Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Müssen diese Sanktionen, müssen diese angedrohten Strafmaßnahmen so drastisch sein wie jetzt bei Hartz IV? Oder würden Sie da mit sich reden lassen?

Theurer: Wissen Sie, die Gesamtfrage, wie drastisch sind denn diese Sanktionen, da gehen ja die Eindrücke komplett auseinander. Wir haben Jobcenter, in denen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Arbeitsagentur wahnsinnig reinhängen, um Menschen wieder in Arbeit zu bringen. Wir haben Bedarfsgemeinschaften der Kommunen, wo genau das gleiche gemacht wird. Es war doch im alten System, zu dem jetzt Frau Nahles zurückkehren will, eher so, dass es eine Trennung gab zwischen den Sozialhilfebehörden der Kommunen und dem klassischen Arbeitsamt. Das hat man ja damals bewusst überwunden. Wir sind der Meinung, dass es sicher besser ist, wenn man die Sozialleistung bei einer Behörde bündelt, nämlich beim Finanzamt, und die dann einfach ausbezahlt und Anreize liefert, dass Menschen wieder Arbeit aufnehmen, weil wir nämlich diese Hinzuverdienstgrenzen erhöhen wollen.