Theurer im Interview mit The European Circle: Fördertöpfe einfacher machen!

Theurer im Interview mit The European Circle: Fördertöpfe einfacher machen!

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Brüssel – Mit einem Volumen mit rund 50 Milliarden Euro jährlich bilden die Struktur- und Regionalfonds eines der wichtigsten Arbeits- und Aufgabengebiete der EU. Doch wer bekommt das Geld? Wo fließt es hin? Nach welchen Kriterien wird es verteilt? Darüber sprach EC-Korrespondent Peter Brinkmann mit dem Europa-Abgeordneten der Liberalen, Michael Theurer. [Zum Beitrag von European Circle]

European Circle: Als langjähriger Oberbürgermeister von Horb am Neckar und stellvertretender Vorsitzender des Europaauschusses des Baden-Württembergischen Landtags kannten Sie die Umsetzung der Europäischen Förderprogramme aus der Praxis. Damals wollten sie Geld aus dem EU-Topf, heute müssen Sie es verteilen. Nach welchen Kriterien werden die Europäischen Förderprogramme aufgestellt?

Theurer: Zunächst gilt das Prinzip der Subsidiarität und Bürgernähe. Das Europa das wir meinen, muss ein Europa der Bürger sein. Alles, was vor Ort entschieden werden kann, muss vor Ort entschieden werden. Das große Plus der Regionalförderung der EU ist, die Auswahl der Projekte und die Verteilung der Mittel erfolgt durch die Regionen.

European Circle: Doch geklagt wird immer über zu viel Bürokratie…

Theurer: Kleine und mittlere Unternehmen klagen und manche sprechen sogar von Förderdschungel. Auch die Experten räumen ein: Anträge für EU-Fördermittel erfordern viel, meist zu viel Zeit und allerlei bürokratische Finessen. Das muss sich ändern, meinen wir Liberalen im Europäischen Parlament.

European Circle: Ihre Forderungen?

Theurer: Wir fordern von der EU-Kommission als ersten Schritt die Entwicklung eines einfachen und schnellen Standardverfahrens (Computer basiert und mit einheitlichen Handbüchern!), mit dem Bürger und Unternehmen europaweit Fördermittel aus den unterschiedlichsten EU-Töpfen beantragen können. Damit rückt das Ziel der Regional- und Strukturpolitik in den Mittelpunkt: kleine und mittlere Unternehmen erhalten Zugang zu anwendungsnaher Forschung,, zu Technologie- und Innovationstransfer. Will Europa weltweit wettbewerbsfähig bleiben, müssen Forschungsergebnisse schneller in konkrete Produktideen umgesetzt werden.

European Circle: Wie soll das gehen?

Theurer: Mögliche Synergien zwischen der Forschungs- und Regionalpolitik müssen dringend besser genutzt werden. Zu diesem Ergebnis kommt ein Initiativbericht, der im Ausschuss für regionale Entwicklung des Europäischen Parlaments diskutiert wurde. Dabei gilt es, die spezifischen Vorteile beider Förderinstrumente besser zur Geltung zu bringen. Beide Fördersäulen haben das gleiche Ziel, aber einen unterschiedlichen Ansatz: Spitzenforschung und weltweite Exzellenz im Forschungsrahmenprogramm, kurze Wege zur anwendungsorientierten Hilfe in der Regionalförderung.

European Circle: Was für Programme gibt es in der Regionalförderung?

Theurer: Zunächst mal beinhaltet die Regionalförderung neben EFRE auch noch den Europäischen Sozialfonds (ESF).

European Circle: Was ist EFRE?

Theurer: EFRE steht für den „Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung“. In einem Wettstreit der Ideen und Konzepte werden aus den EU-Mitteln Projekte gefördert, die besonders zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Wirtschaftswachstum beitragen. Die Förderung aus dem EFRE deckt dabei ein breites Spektrum unterschiedlicher Projektansätze ab. Dieses reicht von der einzelbetrieblichen Förderung, über die betriebliche und hochschulspezifische Forschungs- und Entwicklungsförderung bis hin zu den vielfältigen Infrastrukturbereichen wie Tourismus, Verkehr, Breitbandnetze, aber auch Stadtentwicklung, Brachflächenrecycling und Energiemanagement. Das eigens für die Region Lüneburg erarbeitete Programm ist eingebettet in die landesweite Strategie für Wirtschaft und Arbeitsmarktpolitik und berücksichtigt ebenso die regionalen Besonderheiten wie auch die zusätzlichen Fördermöglichkeiten der EU.

European Circle: Und der ESF?

Theurer: Der ESF ist mit mehr Mitteln ausgestattet. Der Schwerpunkt liegt in der Qualifizierung und dem Aufbau sozialer Netzwerke.
Die Frage der Abrechnung und Abwicklung der Programme bereitet offensichtlich vielen Regionen in Europa Probleme. Natürlich sind alle Regionen und eben auch die Landesverwaltungen in den deutschen Bundesländern aufgefordert, die europäischen Regelungen einzuhalten. Allerdings ist auf europäischer Ebene seit langem eine Diskussion um die Vereinfachung dieser Regelungen im Gange und die halte ich für möglich und für erforderlich. Dazu tagt auch gerade eine Arbeitsgruppe der Kommission.

European Circle: Aber hier genau werden die Verfahren immer angegriffen. Sie seien eben immer noch zu kompliziert…

Theurer: Der Rechnungshof kritisiert dies immer wieder. Eine Schlussfolgerung allerdings, die Verwaltung der Programme bei den Mitgliedsstaaten, also zentralistisch, im deutschen Fall bei der Bundesregierung zu verorten, halte ich für falsch. Im Gegenteil, ich halte es für dringend erforderlich, dass die Verfahrensvorschriften für Efre, noch mal kritisch überprüft werden, mit dem Ziel einer deutlichen Vereinfachung.

European Circle: Dann gibt es noch den Kohäsionsfonds?

Theurer: Der Kohäsionsfond umfasst für die Periode von 2007 bis 2013 insgesamt 70 Mrd. Euro. Er stellt die erste (von drei) Säulen der Struktur- und Kohäsionspolitik der EU dar. Der Kohäsionsfond ist für diejenigen Länder, deren Brutto-Inlandsprodukt unter 75 Prozent des Durchschnitts der EU liegen.
Die zweite Säule dient der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und der Beschäftigung. Sie steht allen Mitgliedsstaaten offen. Diese Säule ist in die Diskussion gekommen. Bei der dritten Säule geht es um die interterritoriale, das heißt die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Diese soll in Zukunft eher gestärkt werden. Der aktuelle Diskussionsstand ist der, dass auf jeden Fall eine Überprüfung des Ziels zwei kommen soll.

European Circle: Also eine Neuausrichtung der Förderpolitik?

Theurer: Ja. Die Struktur- und Kohäsionspolitik muss neu ausgerichtet werden. Anlässlich der gemeinsamen Veranstaltung am 14. 09. 2010 der deutschen Länder mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie zum Thema „Bilanz und Perspektiven des Strukturfondseinsatzes in Deutschland“ habe ich diese Forderung noch einmal deutlich bekräftigt. Denn zum einen hat der Rechnungshof immer wieder den zum Teil schleppenden Mittelabfluss kritisiert. Zum anderen muss verhindert werden, dass EU Subventionen zu Wettbewerbsverzerrungen und zu Freifahrerverhalten führen. Die Diskussion um die Verlagerung des Nokia-Werks von Nordrhein-Westfalen nach Rumänien zeigt wie zweifelhaft staatliche Subventionen sein können. Es ist volkswirtschaftlich äußerst fragwürdig wenn – wie bei Nokia ein Unternehmen zunächst mit EU-Finanzhilfen angesiedelt, dann mit EU-Mitteln umgesiedelt und schließlich die arbeitslos gewordenen Mitarbeiter wiederum mit Mitteln der EU umgeschult werden. Darüber hinaus ist die Länge der Finanzzierungsperiode zu überprüfen (5 + 5 Jahre inklusive Midterm-Evaluation).

European Circle: Reicht das schon aus?

Theurer: Nein. Es bedarf ferner einer Verknüpfung der EU-Ausgaben an die strategischen, politischen Ziele der EU (Ziele der EU 2020 Strategie, oder konkreter: Verbesserung der europaweiten Energieeffizienz, Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, Breitbandabdeckung).

European Circle: Mit welchen Schwerpunkten?

Theurer: Schwerpunkt sollte besonders die Förderung der Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit kleinerer und mittlerer Unternehmen sein. Während in den aus den Strukturfonds finanzierten Programmen der Anteil kleiner und mittlerer Unternehmen bereits heute bei über 90 % liegt, belegen die Studien von GEFRA und Prognos, dass kleine und mittlere Unternehmen in den zentral von der EU verwalteten Forschungsprogrammen nur einen Anteil von 10-20 % erreichen und somit unterrepräsentiert sind. Forschungsförderung muss auch für kleine und mittlere Unternehmen möglich gemacht werden.

European Circle: Klappt denn die Zusammenarbeit der Staaten untereinander?

Theurer: Die Zusammenarbeit von Staaten darf sich nicht auf Regierungen beschränken, es kommt auf die Menschen an. Deshalb setze ich mich dafür ein, dass die Förderung der territorialen Zusammenarbeit gestärkt wird. Durch den vermehrten Einsatz von Technologietransfer und Kompetenzbrücken könnten kleine und mittlere Unternehmen darin unterstützt werden die Vorteile des europäischen Binnenmarktes durch territoriale Zusammenarbeit zu nutzen, aber auch die kommunale Verwaltung und die Zivilgesellschaft kann dadurch profitieren. Nach Angaben der Kommission partizipieren bisher nur acht Prozent der kleinen und mittelständischen Unternehmen am europäischen Binnenmarkt. Die starken Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft der einzelnen Mitgliedstaaten sind eine der Hauptursachen für die Spannungen in der Euro-Zone die zum jüngsten Euro-Rettungsschirm geführt haben. Die Bundesrepublik Deutschland wurde von den europäischen Partnern immer wieder zu einem stärkeren Engagement aufgefordert.

European Circle: Nun fließen Milliarden in die Agrarwirtschaft. Ist das noch angebracht?

Theurer: Bei allen Haushaltsberatungen geht es auch immer um die Frage: Wie viel Geld fließt zum Beispiel in die Subventionierung überkommener Strukturen und wie hoch muss oder soll die Förderung moderner Innovations- und Forschungstrukturen sein? Gerade darauf legen wir ein stärkeres Gewicht.

European Circle: Warum hier?

Theurer: Wir, die FDP-Abgeordneten, wollen die Forschung stärken.
Mit 50 Milliarden gegenüber 320 Milliarden für die Kohäsions- und Strukturfonds ist sie relativ schwach ausgebildet. Nach meinem Dafürhalten sollte die stärkere Förderung von Forschung und Innovation jedoch nicht zentralistisch, sondern gerade dezentral und bürgernah in die Regionalförderung integriert werden.
Kommunen und Regionen sind die richtigen Ansprechpartner, um eine Innovationsförderung in der Fläche zu organisieren. Und darum wird es in Zukunft gehen. Dazu müssen jetzt im europäischen Parlament die Weichen gestellt werden.

European Circle: Streit gibt es auch immer um die Frage, wer gefördert wird, also welche Landesteile in den 27 Mitgliedsstaaten.

Theurer: Klar. Niemand möchte auf Förderung verzichten. So tragen etwa die neuen Bundesländer vor, dass sie auf die EU-Hilfe kaum verzichten können. Meine Position ist dass grundsätzlich alle Regionen in Europa von der Regionalförderung profitieren sollen. Eine Spaltung Europas in einen Teil, der zahlt, und einen Teil, der bekommt, halte ich für gefährlich und falsch. Zumal es auch in wohlhabenden Mitgliedsstaaten wie Deutschland durchaus strukturschwache Regionen gibt.