Gastbeitrag Focus Online: Lehren aus der Situation in Thüringen

Gastbeitrag Focus Online: Lehren aus der Situation in Thüringen

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Die überraschende Wahl Thomas Kemmerichs zum Ministerpräsidenten von Thüringen hat einen bundesweiten Sturm der Entrüstung ausgelöst. Was sind die Lehren? Wie geht es jetzt weiter? 

Die Emotionen kochen noch immer hoch. Wut über die Abwahl des in der Bevölkerung durchaus beliebten Bodo Ramelow. Verwunderung darüber, dass die FDP mit 5% als kleinste Partei überhaupt einen Kandidaten für das Ministerpräsidentenamt aufstellt. Empörung darüber, dass der in geheimer Wahl gewählte Kemmerich die Mehrheit nur durch die Stimmen der AfD-Abgeordneten erreichen konnte.

Der parteipolitische Winkelzug der AfD, der zur Wahl Kemmerichs führte, hat ein politisches Erdbeben ausgelöst und dem Ansehen der FDP schwer geschadet. Es ist der Eindruck entstanden, die FDP nehme die stillschweigende Unterstützung der AfD in Kauf. Die Aufarbeitung der Abläufe dauert an. Fakt ist, dass die Kandidatur ohne Billigung oder gar Unterstützung des Bundespräsidiums der Freien Demokraten stattfand.

Welche Lektionen können gelernt werden? Die FDP wird – wie alle anderen Parteien im Übrigen auch – ihren Umgang mit der AfD noch viel stärker im Detail klären müssen. Die Beschlusslage erschien bislang klar: Es gab, gibt und wird keine Zusammenarbeit mit der AfD geben. Das muss umso mehr in Thüringen gelten, wo die AfD von jemandem geführt wird, den ich für einen Nazi halte. Dass Thomas Kemmerich die Wahl durch die Stimmen der AfD annahm und zu allem Überfluss auch die Gratulation des Nazis Höcke annahm, war ein mehr als nur schwerer Fehler. Dennoch stellt sich die Frage, was exakt alles geht – und was nicht. Dabei sind schwierige Fragen zu beantworten.

Dürfen Parteien wie die FDP für öffentliche Ämter ein personelles Angebot machen, wenn die Gefahr besteht, dass die Kandidaten mit Stimmen der AfD gewählt werden können? Oder müssen sie darauf verzichten, auch wenn das bedeutet, dass sie politisch ihrer Wirkungsmöglichkeiten, als Opposition personelle Alternativen aufzuzeigen, beraubt werden? Was würde etwa passieren, wenn die AfD jetzt ankündigt, Bodo Ramelow zu wählen – dürfte er dann die Wahl nicht annehmen oder nur, wenn es auf die Stimmen nicht ankäme?

Was passiert, wenn es etwa in der Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten eine Situation gäbe, in der ein Sozialdemokraten und ein Christdemokrat zur Wahl stehen und die Stimmen der AfD möglicherweise den Ausschlag geben? Müssten dann bürgerliche Parteien auf die Nominierung eines Bewerbers von vorne herein verzichten?

Durch die machtpolitische Neutralisierung der AfD-Stimmen ergibt sich eine relative Stärkung anderer Parteien. Faktisch führt dies gegenwärtig zu einer Machtverschiebung nach links. Es wurde ein großer Druck aufgebaut, die FDP oder die CDU müsse Bodo Ramelow – der mit seiner Regierung bei der Wahl die Mehrheit verloren hat – im Amt halten.

Die Mehrheitsverhältnisse in Thüringen zwingen also dazu, dass FDP, aber auch die CDU auch das Verhältnis zur Linkspartei klären müssen: Es gibt keine Mehrheit gleichzeitig gegen AfD und Linkspartei – auch wenn es im dritten Wahlgang die Möglichkeit gäbe, dass die Parteien des Verfassungsbogens (CDU, SPD, Grüne, FDP) mit einem gemeinsamen Kandidaten aus eigener Kraft eine einfache Mehrheit bekommen, so würde sich spätestens beim nächsten Landeshaushalt die Frage erneut stellen. Der moralische Druck, der mit dem Appell an die staatspolitische Verpflichtung verknüpft wurde, war und ist enorm.

Ich frage mich jedoch: Wieso sollte die FDP moralisch verpflichtet sein, einen Ministerpräsidenten zu wählen, dessen Partei für Enteignungen eintritt und die Wirtschaftsordnung der Sozialen Marktwirtschaft ablehnt? Wenn die stellvertretende Bundesvorsitzende der Linken, Janine Wissler – die aktuell als zukünftige Vorsitzende gehandelt wird – bei Maybritt Illner auf die FDP schimpft, dann darf man nicht vergessen, dass das die gleiche Person ist, die dazu aufgefordert hat, die Gesellschaft aus den Angeln zu heben. Sie wies darauf hin, man dürfe sich nicht der Illusion hingeben, dies sei durch das Parlament möglich. Das ist offen antidemokratisch und verfassungsfeindlich.

Historisch haben Sozialisten und Kommunisten auch selten im Vorfeld darauf hingewiesen, dass ihre Machtübernahme am Ende für viele Menschen mit massiven Einschränkungen der individuellen Freiheit, Repression und unsäglichem Leid verbunden sein würde. Die Solidarisierung der Partei Die Linke mit der menschenverachtenden Diktatur in Venezuela deutet jedoch darauf hin, dass die demokratische Läuterung des Rechtsnachfolgers der SED zumindest noch nicht völlig abgeschlossen ist.

Nur weil eine Partei einen Ministerpräsidenten hervorbringt, der gemäßigter ist, macht das seine Partei noch nicht koalitionsfähig für die Parteien der bürgerlichen Mitte. Staatspolitische Räson kann nicht bedeuten, einen Regierungschef einer in Teilen antidemokratischen Partei an der Macht zu halten. Kann es eine andere Art der Problemlösung geben? Wie geht man damit um, wenn diejenigen, mit denen man eine Zusammenarbeit ausschließt, eine Mehrheit haben und auch untereinander nicht koalieren wollen?

Die Zuspitzung in Thüringen kam auch daher, dass es seitens der Partei Die Linke keinerlei Bereitschaft gab, einen überparteilichen Konsenskandidaten zu präsentieren. Die jetzt eingetretene Situation hätte vermieden werden können, wenn sich alle ein kleines bisschen bewegt hätten: CDU und FDP bei der punktuellen, inhaltsgeleiteten Unterstützung einer rot-rot-grünen Regierung. Und rot-rot-grün bei der Nominierung des Ministerpräsidenten-Kandidaten. Ein überparteilicher Kandidat wäre allemal besser gewesen als eine Eskalation wie jene der letzten Tage. Es sind viele Fragen zu klären, sehr viele. Keine davon ist so einfach, wie es vielleicht auf den ersten Blick erscheint.

Nachdem CDU und CSU von der FDP gefordert haben, den Weg für Neuwahlen in Thüringen freizumachen, scheitert die CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer einmal mehr an ihrer eigenen Partei. Die thüringische CDU mit Herrn Mohring blockiert Neuwahlen. Damit ist auch der von FDP geforderte klare Schnitt für einen Neustart versperrt.

Mein konkreter Vorschlag für den nächsten Schritt ist daher ein anderer: Es sollte einen runden Tisch aller Beteiligten geben. Als Moderator geeignet wäre aus meiner Sicht der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck. Er ist über jeden Zweifel erhaben.