Gastbeitrag focus-online: Was Merkel und Altmaier vorschlagen, ist ein Affront gegenüber den Steuerzahlern

Gastbeitrag focus-online: Was Merkel und Altmaier vorschlagen, ist ein Affront gegenüber den Steuerzahlern

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Wenn der Wirtschaftsminister von Wettbewerbsfähigkeit spricht, ist das zunächst zu begrüßen, schließlich sind wir nicht auf Wohlstand abonniert. Doch was Peter Altmaier mit der Unterstützung von Angela Merkel in seiner Industriestrategie 2030 und dem Industriepolitischen Manifest vorschlägt, ist ein Affront gegenüber Verbrauchern, Steuerzahlern und Mittelstand.

Als vor einigen Wochen die Fusion der Bahnsparte von Siemens und Alstom durch die Wettbewerbshüter der Europäischen Kommission verhindert wurde, ließen die Reaktionen von Merkel, Altmaier & Co. tief blicken: Man brauche einen möglichst großen „Champion“, weil nur so Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt gewährleistet sei. Dass der Marktzugang in China nicht an der Konzerngröße scheitert, eine Fusion jedoch in Europa zu einer massiven Marktbeherrschung geführt hätte – und damit zu höheren Preisen für die Abnehmer sowie letztlich die Kunden – war den Regierenden herzlich gleichgültig.

Als sich Merkel und Emmanuel Macron am 27.2.2019 in Paris trafen, wurde die Schwächung des europäischen Wettbewerbsrechts für den nächsten EU-Gipfel Ende März gleich mit verabredet. Insbesondere soll das auf Bundesebene schon höchst zweifelhafte Instrument der „Ministererlaubnis“ für wettbewerbswidrige Fusionen auch auf europäischer Ebene eingeführt werden.

Denn die Bundesregierung hat sich inzwischen komplett vom Wettbewerb als zentralem Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft verabschiedet. Stattdessen gilt Artenschutz für Konzerne. Was klingt wie ein übertriebener Vorwurf wird durch zwei öffentlich zugängliche Dokumente nachdrücklich unterstrichen: Die „Nationale Industriestrategie 2030“ und das „Industriepolitische Manifest“. Letzteres klingt ein wenig nach Marxʼ kommunistischem Manifest – doch das Schreckenskabinett der Staatsgläubigkeit hört beim Titel nicht auf.

Was der Jurist Altmaier da mit voller Rückdeckung der Physikerin Merkel formuliert hat, muss jeden Ökonomen erschaudern lassen. So bezeichnet beispielsweise der ehemalige Chefvolkswirt des Bundeswirtschaftsministeriums die Nationale Industriestrategie als „katastrophales Dokument“.

Das fängt damit an, dass Unternehmen namentlich genannt werden, deren Überleben im „nationalen Interesse“ Deutschlands sei: Siemens, Thyssen-Krupp, Automobilhersteller, Deutsche Bank und Airbus bekommen von Altmaier praktisch einen Blanco-Scheck ausgestellt. Ganz nebenbei soll eine „nationale Beteiligungsfazilität“ geschaffen werden, um notfalls auch unkompliziert Unternehmensanteile aufkaufen zu können. Artenschutz für Großkonzerne.

Dabei ist das Herzstück der Deutschen Wirtschaft in Wirklichkeit der Mittelstand: Hier sind die meisten Arbeitsplätze, die meisten Ausbildungsplätze und vor allem die meisten Weltmarktführer. Es stimmt schlicht nicht, dass nur Konzerne international wettbewerbsfähig seien. Deutschland hat über 3000 sogenannte „Hidden Champions“ – also kleine und mittlere Unternehmen, die eine Spitzenposition in ihrem Marktsegment einnehmen. Jedes einzelne widerlegt Altmaiers Thesen. Der Mittelstand hat auch eine zentrale Rolle für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland. Denn die Hälfte der Hidden Champions sitzt im ländlichen Raum. Gleichwertige Lebensverhältnisse, wie sie das Grundgesetz vorsieht, wären ohne Mittelstand vollkommen unerreichbar.

Dazu kommt, dass Altmaier politisch festlegen will, dass Wertschöpfungsketten nicht international sein sollen, weil er wohl von den Wohlstandsgewinnen einer arbeitsteiligen Wirtschaft noch nie gehört hat. Gleichzeitig will er festlegen, dass 25 Prozent der Wertschöpfung in Deutschland aus der Industrie kommen sollen – gerade so, als ob man so etwas außerhalb von einer planwirtschaftlichen Kommandostruktur einfach festlegen könnte.

Im 1. Staatsvertrag der Bundesrepublik Deutschland mit der DDR, in dem die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion als Vorläufer zur Deutschen Einheit beschlossen wurde, steht zur Sozialen Marktwirtschaft folgendes: „Sie wird insbesondere bestimmt durch Privateigentum, Leistungswettbewerb, freie Preisbildung und grundsätzlich volle Freizügigkeit von Arbeit, Kapital, Gütern und Dienstleistungen.“

Das zentrale Wort ist hier Leistungswettbewerb. Dieser muss immer gewährleistet sein, die katastrophalen Auswirkungen von Monopolen für Verbraucher und langfristige Innovationsfähigkeit füllen ganze Lehrbücher. Eine europäische Ministererlaubnis, wie sie Merkel plant, läuft dem diametral entgegen. Es ist ja auch nicht so, dass die Wettbewerbsrechtler der EU-Kommission unverantwortlich mit dem Wettbewerbsrecht umgehen – tausende Fusionen werden problemlos genehmigt.

Der frühere Unionsminister Norbert Röttgen warnt dementsprechend davor, dass die Strategie von Merkel und Altmaier gegen jede praktische Einsicht und gegen die bisherige Wirtschaftspolitik der CDU sei. Früher hat man bei der Union noch gewusst: Ja, Wettbewerb ist anstrengend. Doch Wohlstand für alle gibt es nur mit Wettbewerb. Ludwig Erhard dreht sich im Grabe um. Wenn Altmaier das Wort „Ordnungspolitik“ in den Mund nimmt, hat das mit einer Ordnungspolitik eines Walter Eucken, auf den sich Union und FDP gerne berufen, nichts gemein. Passender wäre Unordnungspolitik.

Würde es Frau Merkel und Herrn Altmaier wirklich darum gehen, dass deutsche Unternehmen auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig sein können, müssten sie den harten Weg gehen: Statt mit Monopolen die Verbraucher zu Gunsten einiger von der Politik protegierter Konzerne ausbluten zu lassen, müsste man die Rahmenbedingungen für alle Unternehmen verbessern. Denn Deutschland hat die höchsten Unternehmenssteuern aller Industrieländer, eine massive Einschränkung der Wirtschaftstätigkeit durch überbordende Bürokratie, einen Sozialstaat der Weiterhin groteske Fehlanreize setzt – etwa wenn Alleinerziehende in manchen Einkommensbereichen von einem zusätzlich verdienten Euro keinen Cent behalten dürfen – und die zweithöchste Belastung für Normalverdiener mit Steuern und Abgaben.

Der Weg zur Wettbewerbsfähigkeit führt über Entlastung bei Steuern, Abgaben und Bürokratie einerseits und über Investitionen in Bildung und Infrastruktur andererseits. Doch das ist der harte Weg. Wer diesen Weg gehen will, kann nicht jedes Jahr neue Milliardenpakete für Wahlgeschenke schnüren. Dennoch ist diese Trendwende notwendig, wenn wir unseren Kindern noch ein Leben in Wohlstand ermöglichen wollen.