Soziale Marktwirtschaft – eine Blaupause für Europa?

Soziale Marktwirtschaft – eine Blaupause für Europa?

Print Friendly, PDF & Email

Brüssel, 26. März 2013 – Das Modell der sozialen Marktwirtschaft zeichnet die deutsche Wirtschaft aus. Galt sie Ende der 90er zeitweise als behäbig und überholt, so schielen heute einige europäische Partner mit Anerkennung auf Deutschland und seine gute wirtschaftliche Verfassung. Könnte die soziale Marktwirtschaft zum Modell für Europa werden? Zu diesem Thema diskutierten Michael Theurer und Professor Karl-Heinz Paqué als Gäste der Friedrich-Naumann-Stiftung in Brüssel.

Michael Theurer, studierter Volkswirt und als Mitglied des Europäischen Parlaments Vorsitzender des Haushaltskontrollausschusses, begann die Diskussion mit dem Hinweis auf die sieben Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft, aufgestellt vom Volkswirt Walter Eucken (Für mehr Informationen finden Sie hier den Artikel auf Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Ordoliberalismus). Er beklagte, dass diese Prinzipien mit Blick auf die Europäische Union (EU) nicht immer Beachtung fänden. Dabei ist das Prinzip sozialen Marktwirtschaft im Lissabon-Vertrag in Artikel 3 § 3 unter anderem als Ziel für den europäischen Binnenmarkt formuliert. Das Problem „too big to fail“, das dem Bankensektor in der Krise Probleme bereitet hatte und auch manch aufgeblähter Bankensektor wie in Zypern, widerspreche den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft, die eine derartige Konzentrierung ausschließen würden. Die immer wieder aufgeworfene Frage nach der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank spiele ebenfalls eine Rolle. Gleichzeitig merkte Michael Theurer an, dass es einen Mangel an Alternativen gegeben habe. Das Problem sei, dass die EU sich in einer Zeit des Übergangs befände. Seinen Lösungsvorschlag formulierte er ganz klar: Es müsse Institutionen geben, die das gemeinsame wirtschaftliche Interesse der Europäischen Union vertreten. Derzeit gäbe es eine Harmonisierung durch den Europäischen Binnenmarkt und eine gemeinsame Währung, aber keine gemeinsamen politischen Strategien und Mechanismen für eine europäische Wirtschaftspolitik.  Eins der größten noch ungelösten Probleme, sei die fehlende demokratische Legitimation. Daher fänden Entscheidungen der EU zum Teil keine Unterstützung bei den Bürgern. Krasse Beispiele seien Griechenland und neuerdings Zypern.

Professor Paqué gab einen kurzen Abriss zur Geschichte der sozialen Marktwirtschaft. Er beschrieb die soziale Marktwirtschaft als Gegenreaktion auf die Weimarer Republik. Das Ziel seien Wettbewerb, ein funktionierender Sozialstaat und ein kooperativer Ansatz mit Blick auf die Gewerkschaften gewesen. Diese Mischung habe bis zum Ende des Wirtschaftswunders Mitte der 70er-Jahre funktioniert. Otto Graf Lambsdorff habe Anfang der 80er-Jahre schließlich eine Flexibilisierung der sozialen Marktwirtschaft gefordert, um den neuen Herausforderungen begegnen zu können. Anfang der 90er sei die deutsche Wirtschaft durch die Globalisierung und die Kosten der Wiedervereinigung zunehmend unter Druck geraten. Aber, so Paqué, das System der sozialen Marktwirtschaft habe sich angepasst. Deutschland, „the sick man of Europe“, habe sich unter anderem aufgrund seiner Innovationsfähigkeit, einem starken Industriesektor und Reformen wie der Agenda 2010 stabilisiert. Professor Paqué betonte, dass der Trend zu einem starken Dienstleistungssektor, wie er in den 90er-Jahren propagiert worden sei, keine nachhaltige Wirtschaftspolitik darstelle, wofür die südeuropäischen Länder exemplarisch stünden. Diese sollten, um sich zu stabilisieren, versuchen, ihren Exportsektor zu stärken.

Hans Stein, der Moderator und Leiter des Brüsseler Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung, warf die Frage ein, wie man das Unternehmertum fördern könne und warum ausgerechnet die dezentralisierten Staaten in Europa krisenfester seien. Professor Paqué gab Herrn Stein Recht, dass ein starker Mittelstand stabilisierend für die Wirtschaft sei. Andererseits warnte er vor falschen Hoffnungen, eine mittelständische Wirtschaftsstruktur mit hohem Innovationspotenzial, wie es das in Deutschland und speziell in Baden-Württemberg gäbe, in früher Zukunft aufbauen zu können. Der Weg dorthin sollte bereitet werden, aber würde sehr lange dauern. Wichtig sei neben einer mittelstandsfreundlichen Politik auch eine industrie- und technologiefreundliche Politik. Auf die zweite Frage eingehend sagte er, er sei ein Freund von Dezentralisierung, könne aber aus wissenschaftlicher Sicht nicht sagen, dass dezentralisierte Staaten generell eine stärkere Wirtschaft hätten. Michael Theurer berichtete aus eigener Erfahrung, dass eine dezentralisierte Verwaltung sich positiv auswirke. In Polen zum Beispiel habe die Dezentralisierung der Verwaltung für die EU-Strukturfondsmittel dazu geführt, dass deutlich mehr Gelder abgehoben worden seien.