Focus Online: Gastbeitrag zum Infektionsschutzgesetz

Focus Online: Gastbeitrag zum Infektionsschutzgesetz

197. Sitzung des Deutschen Bundestages - Haushaltsdebatte Foto: Am Redepult Michael Theurer (FDP)

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Die Bundesregierung hat es jetzt bereits über ein Jahr lang nicht geschafft, eine Regelung für den Umgang mit der Pandemie zu finden, die mehr als ein paar Wochen hält, klar ist und verständlich kommuniziert werden kann.

Dieses Versäumnis reiht sich ein in ein Versagen bei allen Punkten, für welche die Bundesregierung zuständig ist – sei es das Desaster mit Ansage bei der Impfstoffbeschaffung, vor dem ich sie bereits im Frühsommer letzten Jahres warnte oder die bis heute fehlende konsequente und konsistente Teststrategie. Vorschläge der Bundesregierung wie etwa die völlig lebensfremde und letztlich gescheiterte kurzfristige Osterruhe kommen dazu.

Die Koalitionsfraktionen haben jetzt den Anspruch erhoben, eine langfristig gültige Lösung gefunden zu haben. Diese ist jedoch zum Scheitern verurteilt.

Rückblick: Nachdem bereits Anfang Januar mit dem Aufkommen der britischen Variante absehbar war, dass es zu einer dritten Welle kommen könnte, hatte die FDP-Fraktion Anfang Februar einen Stufenplan vorgelegt, der neben der Inzidenz zur Einschätzung der akuten Gefährdungslage weitere Faktoren berücksichtigt. Da wäre zum einen die Ü60-Inzidenz, also wie viele der Infizierten Senioren sind, für die eine besondere gesundheitliche Gefährdung besteht. Zweitens enthält unser Plan den Abgleich von der Inzidenz mit der Testhäufigkeit, damit nicht an Feiertagswochenenden auf einmal eine scheinbar niedrigere Gefährdung vorliegt oder wenn besser getestet wird eine scheinbar höhere. Drittens die akute Auslastung der Intensivbettenkapazitäten, viertens die Auslastung der lokalen Gesundheitsämter und fünftens die Ausbruchsstreuung. Letztere ist wichtig, weil ein klar lokalisierbarer und eindämmbarer Ausbruch etwa in einem Alten- und Pflegeheim, einem Flüchtlingsheim oder einem einzigen Unternehmen weniger riskant ist als ein diffuses Infektionsgeschehen. Mit all diesen Faktoren ergibt sich eine gewichtete Inzidenz als Bündelung relevanter Kriterien.

Vor knapp zwei Wochen hat die Bundesregierung dann eine „Formulierungshilfe für die Fraktionen der CDU/CSU und SPD“ für eine Reform des Infektionsschutzes vorgelegt, um die dritte Welle endlich einzudämmen. Dabei hat sie schwere Fehler begangen, die von den Fraktionen nur teilweise ausgeräumt wurden.

Der erste Fehler: Starrer Fokus auf die 7-Tage-Inzidenzen. Die Bundesregierung räumt selbst ein, dass das keine kluge Idee ist. So schreibt sie in einer offiziellen Antwort auf eine Anfrage des Abgeordneten Wolfgang Kubicki: „Tatsächlich wird der reale Schweregrad der Pandemie durch andere Parameter abgebildet, etwa durch den prozentualen Anteil positiver Testergebnisse unter allen durchgeführten PCR-Tests, die Anzahl an COVID-19 Patientinnen und COVID-19-Patienten auf den Intensivstationen oder die Zahl der an oder mit COVID-19 Verstorbenen.“ Im Klartext: Die Orientierung ausschließlich an der Inzidenz ist sinnlos.

Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags wird für seine Verhältnisse sehr deutlich in der Einordnung dieser Einschätzung: „Vergleichbare landesrechtliche Regelungen hat die Rechtsprechung bereits öfter kritisiert. Problematisiert wird die Verhältnismäßigkeit und die Frage, ob andere für das Infektionsgeschehen relevante Umstände einzubeziehen seien. Diese Kritikpunkte haben Gewicht.“ Im Klartext: Eine bloße Orientierung an den Inzidenzen ist wohl nicht verhältnismäßig und damit verfassungswidrig.

Der zweite Fehler sind die nächtlichen Ausgangssperren. Diese sind entweder so kurz und haben so viele Ausnahmen, dass sie praktisch unwirksam und damit ein ungeeigneter Eingriff in Grundrechte – also verfassungswidrig – sind, oder sie sind so lang und haben so wenige Ausnahmen, dass sie die Zahl der Kontakte etwa zu den Stoßzeiten im Supermarkt sogar erhöhen, wodurch sie erneut ungeeignet und damit verfassungswidrig sind. Letzteres hat die wissenschaftliche Begleitung der Ausgangssperren ab 18 Uhr in Frankreich ergeben.

Die Gratwanderung bei der nächtlichen Ausgangssperre zwischen einer unwirksamen Maßnahme und einer Maßnahme, die so wirksam ist dass sie schon wieder kontraproduktiv wird, ist aussichtslos. Oder wie der wissenschaftliche Dienst des Bundestags sagt: „Ob sie einer abschließenden verfassungsgerichtlichen Prüfung standhielte, dürfte zweifelhaft sein.“

Dritter Fehler: Alle Regeln gelten auch für Geimpfte und nach Erkrankung für eine gewisse Zeit immunisierte Personen. Die Grundlage für Freiheitseinschränkungen kann aber immer nur sein, wenn man eine Gefahr für andere darstellt. Wenn diese nicht mehr vorhanden ist, muss es Ausnahmen geben. In der praktischen Anwendung kann es einzelne Situationen geben, wo das organisatorisch nicht handhabbar wäre. Ansonsten sind sich die Verfassungsrechtler einig: Fehlende Ausnahmen sind verfassungswidrig.

Vierter Fehler: Es fehlen Ausnahmen auch für frisch negativ Getestete. Diese würden einen positiven Anreiz auf regelmäßige Testungen darstellen. Dass dies funktioniert, hat man im äußerst erfolgreichen Tübinger Modellprojekt unter Federführung von Boris Palmer und Lisa Federle gesehen. Jedoch sind solche Modellprojekte  fünfter Fehler – zukünftig verboten. Ein Unding, denn regulatorischer Wettbewerb führt zu Erkenntnisgewinn, weshalb ich den Änderungsantrag hierzu persönlich formuliert habe.

Sechster Fehler: Die Bundesregierung wird mit diesem Gesetz ermächtigt, auch neue Verordnungen zu erlassen, die weit über das bisher beschlossene hinaus gehen, insbesondere Eingriffe in die Unverletzlichkeit der Wohnung. Einigen schwebt da wohl vor, notfalls in Privathaushalte einzudringen und nachzuzählen, wie viele Leute sich dort aufhalten. Das wäre eine absolute Katastrophe für unsere freiheitlich-demokratische Ordnung und offene Gesellschaft.

Alle unsere Änderungsanträge werden abgelehnt. Verfassungswidrige Gesetze sind ein Problem für unsere Gesellschaftsordnung, sie sind jedoch auch ein Problem für die Pandemiebekämpfung. Denn wenn die Politik Quatsch beschließt, erkennen die Menschen diesen als solchen. Das verringert jedoch die Akzeptanz auch der notwendigen und sinnvollen Maßnahmen der Pandemiebekämpfung. Das neue Infektionsschutzgesetz schadet den Grundrechten und der Gesundheit.

In der Konsequenz werde ich persönlich – gemeinsam mit vielen Kolleginnen und Kollegen der FDP-Fraktion – Klage beim Bundesverfassungsgericht einreichen.

Gut war, dass sich endlich der Bundestag mit dem Thema intensiv und in einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren befasst wurde. Dass er einige Schwächen der ursprünglichen Formulierung zumindest abmildern konnte und Verbesserungen vornahm, zeigt die Stärken der parlamentarischen Demokratie, im Ergebnis würde ich trotz der verbleibenden erheblichen Schwächen des Gesetzes sogar sagen, dass es ein guter Tag für das Parlament war.

Und während manche Kommentatoren meinten, es sei ein schlechter Tag für das Grundgesetz gewesen, bin ich völlig anderer Überzeugung. Denn der Hort des Rechts ist nicht Berlin. Der Hort des Rechts ist in meinem Wahlkreis Karlsruhe. Das Grundgesetz ist stärker als verfassungswidrige Gesetze. Es glänzt nicht dann, wenn alles gut ist, sondern dann, wenn Freiheitsrechte durch politische Mehrheiten im Gesetzgebungsverfahren eingeschränkt werden.