Handelsblatt Interview: CORONAVIRUS. Wir werden Spahn beim Wort nehmen

Handelsblatt Interview: CORONAVIRUS. Wir werden Spahn beim Wort nehmen

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Herr Theurer, Gesundheitsminister Jens Spahn gibt die Regierungserklärung zum Kampf gegen das Coronavirus ab. Wäre das nicht Sache der Bundeskanzlerin?
Es verwundert schon, dass der Gesundheitsminister und nicht die Kanzlerin die Regierungserklärung abgibt. Frau Merkel muss endlich die Bekämpfung des Coronavirus zur Chefsache machen. Die Bevölkerung hat ein Recht darauf, dass die Regierungschefin ihre Politik in diesem wesentlichen Feld öffentlich erklärt. Bei Krisen dieses Ausmaßes muss das Kanzleramt die Zügel in der Hand haben, wie das in der Vergangenheit der Fall war – bisher koordinieren sich da ja vor allem der Gesundheits- und der Innenminister. Das Thema hat aber viel mehr Facetten. Bisher ist vieles Stückwerk.

Welcher Schritt wäre denn jetzt nötig?
Ein erster Schritt wäre eine Sondersitzung der Ministerpräsidentenkonferenz mit Teilnahme der Kanzlerin. Der Bund muss stärker koordinierend wirken – einerseits in Europa, andererseits zwischen den Bundesländern. Gleichzeitig muss die Bevölkerung stärker informiert werden: Was genau sind die Symptome der Coronavirus-Erkrankungen? Wo kann man sich informieren? Was sind die Schutzmaßnahmen?

Wir müssen auch die Probleme von Lieferengpässen mit versorgungsrelevanten Arzneimitteln nachhaltig lösen. Das hat sich schon vor der Coronakrise gezeigt, wird aber durch sie erst recht offenkundig. Wir benötigen abgestimmte europäische Maßnahmen, denn nationale Alleingänge bieten die Gefahr, dass sich die Arzneimittelmärkte einzelner Länder gegenseitig kannibalisieren.

Deutschland war mal die Apotheke der Welt. Rächt sich jetzt, dass die pharmazeutische Industrie lange politisch links liegen gelassen wurde?
Ja. Mit einer allgemeinen fortschritts- und technikkritischen Einstellung, Eingriffen in die Forschungsfreiheit und wirtschafts-, steuer- und arbeitsmarktpolitischen Fehlanreizen haben verschiedenste politische Akteure hier unnötige Probleme geschaffen.

Wenn jetzt Wertschöpfungsketten in der chinesischen Region Wuhan gestört werden, führt das auf der ganzen Welt zu Problemen. Stattdessen nötig wären passende Rahmenbedingungen, damit pharmazeutische Unternehmen Wirkstoffe und Arzneimittel wieder verstärkt in Europa produzieren.

Müssten wir das medizinische Personal besonders schützen?
Auf jeden Fall. Wer am Patienten arbeitet, muss selbst den besten Schutz bekommen, um gesund zu bleiben.

Es fehlen Schutzanzüge, Atemmasken und Desinfektionsmittel.
Die Vorsorge für eine Pandemie ist offenbar nicht zu einhundert Prozent optimal. Wir haben das angesprochen; mein Kollege Andrew Ullmann, der Universitätsprofessor für Infektiologie ist, hat es auch im Bundestag gesagt: Die Kompetenz in der Infektionsmedizin fehlt in Deutschland flächendeckend, nicht jedes Krankenhaus ist so aufgestellt, dass dort Infektionskrankheiten auch behandelt werden können. Wir sind auch bei der internationalen Zusammenarbeit bezüglich der globalen Gesundheit nicht gut aufgestellt. Um die Gefahren für die eigene Bevölkerung besser abschätzen zu können, brauchen wir dringend mehr Daten.

Herr Spahn hat versichert, dass die Bundesregierung sich darum kümmert. Wir werden ihn beim Wort nehmen. Ich möchte aber auch an die Menschen appellieren, jetzt nicht panisch ausgerechnet diejenigen Desinfektionsmittel und Atemmasken aufzukaufen, die gegen das Coronavirus unwirksam sind, aber dann an anderen Stellen fehlen.

Die Menschen räumen die Regale leer. Wie nimmt man ihnen die Angst?
Gerade China hat gezeigt, dass eine offene Kommunikation absolut erforderlich ist – etwa darüber, dass in Deutschland derartige Abriegelungen ganzer Regionen, wie sie in China geschehen sind, nicht geschehen werden und derartige Hamsterkäufe nicht notwendig sind. Wir brauchen offene Antworten von allen Ressorts, klare Empfehlungen und verbindliche Einschätzungen.

Wie beurteilen Sie das Krisenmanagement von Spahn und Bundesinnenminister Horst Seehofer?
Es fehlt in Deutschland ein ganzheitlicher Ansatz. Bund, Länder und Kommunen müssen besser koordiniert werden. Einige Versäumnisse hat die Bundesregierung mittlerweile abgestellt. Trotzdem bleibt der Eindruck, dass Seehofer und Spahn zunächst zögerlich und dann erst nach Kritik der FDP reagiert haben. Für mein Gefühl könnten sie noch beherzter agieren und offensiver kommunizieren. Wir bräuchten etwa bei Großveranstaltungen ein einheitliches Vorgehen – die Verantwortung für die Lageeinschätzung kann nicht auf die einzelnen Veranstalter abgeschoben werden. Diese haben weder die Erfahrung noch die Kompetenz für den richtigen Umgang mit einer Epidemie.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sagte kürzlich, er hätte keinen wirtschaftspolitischen Notfallplan gegen das Coronavirus. Ist das fahrlässig?
Ja, das ist extrem fahrlässig. Mich persönlich hat es erschrocken, als Herr Altmaier eingeräumt hat, dass es keinen Notfallplan für exogene Schocks wie das Coronavirus gibt. Wir haben in den letzten zwei Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass Deutschland seine wirtschaftliche Resilienz stärken muss, um im Falle einer Krise weiter handlungsfähig zu sein. Ein stetiger vorletzter Platz in den europäischen Wachstumserwartungen lässt nicht viel Handlungsspielraum. Jetzt kommt es bereits zu Problemen in Lieferketten, zu Betriebsunterbrechungen und auch vereinzelt zu Lieferengpässen.

Was müsste die Bundesregierung als Anti-Virus-Paket auflegen?
Die gesundheitspolitischen Maßnahmen haben hier absolute Priorität. Der Schutz gesunder Menschen und die bestmögliche Behandlung der Erkrankten stehen im Vordergrund. Darüber hinaus wäre es wichtig, dass es zügig die Möglichkeit der Impfung gibt. Der erste Impfstoff aus den USA muss also schnellstmöglich getestet und dann auch eingesetzt werden.

In Bezug auf die Wirtschaftspolitik müssen wir kurzfristig über Möglichkeiten reden, Krisenmanagement zu betreiben und Liquidität zu sichern. Die Vorfälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge wurde 2005 als Sofortmaßnahme zur Unterstützung der leeren Sozialversicherungskassen mit dem Versprechen eingeführt, diese bei Stabilisierung der Kassen wieder abzuschaffen. Inzwischen sind die Kassen stabil, daher wäre die Abschaffung der Vorfälligkeit eine sinnvolle und sofort wirksame Maßnahme zur Liquiditätssicherung. Daneben geht es etwa um Kurzarbeit. Alles andere, was wir zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit vorgeschlagen haben, bleibt natürlich weiterhin sinnvoll, ist jedoch nicht ganz so dringlich.

Arbeiten Bundesfinanzministerium und Bundeswirtschaftsministerium gut zusammen?
Gutes Risikomanagement heißt, dass man sich auch auf den Worst Case vorbereiten muss. Wenn es dann nicht so dick kommt: Umso besser. Wir haben den Eindruck, dass sich erst langsam die Erkenntnis über den Ernst der Lage durchsetzt. Es darf gleichermaßen keine Panikmache, aber auch keine sachlich ungerechtfertigte Verharmlosung geben.

Herr Theurer, vielen Dank für das Interview.

Die Fragen stellte Thomas Sigmund.