Gastbeitrag Focus Online: GroKo muss beim Investitionsstau ihre Hausaufgaben machen

Gastbeitrag Focus Online: GroKo muss beim Investitionsstau ihre Hausaufgaben machen

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Die Große Koalition hat über Jahre hinweg wichtige Investitionen unterlassen, verschleppt oder vermurkst. Schlaglöcher, kein Internet im ländlichen Raum, marode Brücken. Das ist jedoch kein Grund für ein Aufweichen der Schuldenbremse – denn damit bezahlen wir mit den Zukunftschancen unserer Kinder. Aufgrund des Investitions-Rückstaus, den die Merkel-GroKos verursacht haben, ist jedem schnell einsichtig, dass mehr Investitionen in die Zukunft notwendig sind. Die Frage ist jedoch: Wer investiert welches Geld in welche Projekte?

Klar: Straßen, Brücken, Schienen sind sanierungsbedürftig. Mobilfunk- und Glasfaserausbau stockt, nicht zuletzt durch die 5G-Versteigerung, bei der die GroKo erneut völlig falsche Prioritäten gesetzt hat, und das fragwürdige Geschäftsgebaren des Ex-Monopolisten Telekom, das vom Anteilseigner Deutschland auch noch gestützt wird. Vielerorts arbeitet die Bauwirtschaft bereits am Limit, in den Behörden fehlen Planungskapazitäten, es gibt es zu wenige baureife Planungen aufgrund der langen Genehmigungszeiten. Höhere Budgets würden kurzfristig entweder zu höheren Preisen führen oder zu einem größeren Rückstau – schon heute werden viele Fördermittel nicht abgerufen. Und selbst beim Willy-Brandt-Flughafen Berlin (BER) fehlt es nicht an Geld, sondern an vernünftigem Management.

Kurz: Nicht allein fehlender Investitionswille ist das Problem, insbesondere der Arbeits- und Fachkräftemangel wird zum Flaschenhals. Man kann nicht einmal eben von heute auf morgen nachholen, was über Jahre liegen gelassen wurde.

Das heißt, dass als erstes einmal die grundlegenden Hausaufgaben gemacht werden müssen. Die Bundesregierung muss die Voraussetzungen schaffen, um den Arbeits- und Fachkräftemangel wirksam zu bekämpfen. Sie muss auch endlich für eine vernünftige Planungsbeschleunigung sorgen. Die Klagerechte, mit denen wichtige Projekte etwa von der „Deutsche Umwelthilfe“ oft über Jahre verzögert werden, gehören ebenso auf den Prüfstand wie die bürokratischen Vorgaben in den Bauordnungen der Länder.

Erst wenn diese „Basics“ erledigt sind, können staatliche Zusatzinvestitionen in großem Umfang sinnvoll getätigt werden. Dann stellt sich die Frage nach der Finanzierung. Wenn man – wie GroKo und Grüne – im Haushalt nicht sparen will, ist diese kurzfristig eher schwierig. Denn seit 2011 gibt es die Schuldenbremse im Grundgesetz. Mit der Ausnahme einer Notlage darf der Bund nur neue Schulden im Umfang von 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung aufnehmen. Wäre eine echte Wirtschaftskrise da, hätte man also die Möglichkeit gegenzusteuern, in einer Situation der leichten Rezession wie jetzt sind die Handlungsspielräume für Schuldenpolitik aber begrenzt.

Deshalb wird der eine oder andere jetzt kreativ. Altmaier schlägt vor, eine „Klimaanleihe“ im Umfang von 50 Milliarden Euro mit einem Zinssatz von zwei Prozent auszugeben, um die Haushaltsregeln zu umgehen und ein „Sondervermögen“ zu schaffen. Das wäre ein äußerst fragwürdiger Präzedenzfall. Denn zukünftig könnten immer wieder von einer großen Mehrheit getragene Projekte aus dem Haushalt ausgegliedert werden, um so die Schuldenregeln zu umgehen. Das wäre eine Ausweitung der Staatstätigkeit einerseits und der Staatsverschuldung andererseits durch die Hintertür. Projekte, die bisher durch den Haushalt finanziert wurden, können aus dem „Sondervermögen“ finanziert werden. Die freiwerdenden Haushaltsmittel werden jedoch nicht eingespart, indem etwa Steuern gesenkt oder Schulden abgebaut werden, sondern für Wahlgeschenke ausgegeben. Das wäre kein Sondervermögen, sondern eine Sonderverschuldung! Es gilt die alte Schumpeter-Weisheit: Eher legt sich ein Hund einen Wurstvorrat an als eine demokratische Regierung eine Budgetreserve.

Aufgrund der Zinsdifferenz zwischen der „Klimaanleihe“ und der „Staatsanleihe“ errechnet sich eine Umverteilung vom Steuerzahler zu den Sparern in Höhe eines zweistelligen Milliardenbetrags. Aus dieser Warte ist Habecks Vorschlag, die Schuldenbremse zu lockern und einfach neue Schulden zu machen, verständlich. Wäre die gegenwärtige Zinslast der einzige Grund, sich nicht zu verschulden, wäre dieser zumindest sinnvoller als der Altmaier-Vorschlag. Doch auch die Lockerung der Schuldenbremse wäre ein fataler Dammbruch.

Schon heute ist der deutsche Schuldenberg gigantisch. Noch mehr Schulden wirken sich aus wie eine Steuererhöhung für alle, die zu ihren Lebzeiten noch unter der Schuldenlast leiden müssen – auch die nachfolgenden Generationen. Zu den expliziten Schulden, die weiterhin ganz am oberen Ende der Maastrichter Kriterien angesiedelt sind, kommen die impliziten Schulden, etwa durch Renten- und Pensionsversprechen. Nach Berechnungen des Forschungszentrums Generationenverträge ist die implizite Staatsschuld nochmal mehr als doppelt so hoch wie die explizite, nämlich bei 164,8 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Auch das müssen unsere Kinder einmal alles bezahlen – und das wird mit dem demografischen Wandel nicht leichter.

Unsere Gesellschaft überaltert. Ohne Einwanderung würde sich die Bevölkerung im Erwerbsalter bis 2035 um rund neun Millionen Menschen verringern. Das dürfte für die Jungen kaum mehr tragbare Belastungen durch Steuern und Sozialabgaben bedeuten. Schon heute sind die Sozialabgaben mit etwa 40 Prozent des Arbeitgeberbruttos am oberen Ende dessen, was leistbar ist. Die gegenwärtige Steuerquote ist jedoch mit 23 Prozent der Wirtschaftsleistung schlicht zu hoch – sie sollte perspektivisch wieder auf die 20 Prozent der Vor-Merkel-Ära gesenkt werden.

Auch die Symbolwirkung wäre verheerend. Deutschland, das bisher noch als sicherer Hafen der haushaltspolitischen Vernunft gilt, würde mit neuen Schulden das Signal nach Südeuropa senden, dass sich jetzt wieder jeder verschulden kann, als ob es kein Morgen gäbe.

Kurz: Die viel zu lange unterbliebenen Zukunftsinvestitionen dürfen nicht mit neuen Schulden finanziert werden. Das wäre kein Mittel für eine ausgleichende Generationengerechtigkeit. Das schaffen wir nur, wenn endlich wieder mit den Mitteln der Gegenwart für die Zukunft vorgesorgt wird – etwa indem im Gegenzug Subventionen gestrichen werden oder der Bund die überfällige Veräußerung seiner Anteile an Privatunternehmen wie der Commerzbank vornimmt.

Die dann getätigten staatlichen Investitionen, etwa zur Begleitung des Strukturwandels, sollten nur zurückhaltend und bewusst getätigt werden. Wo ist wirklich Bedarf, das staatlich zu machen? Und wo führen staatliche Investitionen nur zu geringeren privaten Investitionen? Wäre es nicht vielleicht an der einen oder anderen Stelle viel wirkungsvoller – wenn auch für Politiker vielleicht weniger sexy – die Abschreibungsregeln zu ändern, so dass sich etwa die Investition in ein neues Gebäude schneller auszahlt? Gäbe es nicht bessere Möglichkeiten, das Kapital der privaten Sparer zu mobilisieren?

Zusätzlich zu den Investitionen in grundlegende Infrastruktur können aber tatsächlich staatliche Investitionen notwendig werden, weil zuvor von staatlicher Seite falsche Rahmenbedingungen gesetzt wurden, wodurch wir drohen den Anschluss zu verlieren. Hier könnte mit einer kleinen staatlichen Dreingabe zusätzliches Wachstum generiert und unsere Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig gesichert werden.

Zwei Beispiele: Die Wasserstoff-Brennstoffzellentechnologie steckt kurz vor der Marktreife. Das ist eine Zukunftstechnologie, die nicht mit den Umweltproblemen der Batterie zu kämpfen hat und auch im Gegensatz dazu kein Jobkiller ist. Doch während die Batterie auch mit den regulatorischen Rahmenbedingungen massiv gefördert wird, werden für Wasserstoff bisher Hürden aufgebaut.

Dazu kommt: Bestehende Förderprogramme kommen nur bei den Großkonzernen an, nicht beim Mittelstand. Technologieoffenheit gibt es aber nur, wenn staatlich geschaffene Benachteiligungen im Zweifelsfall auch durch den Staat ausgeglichen werden.

Damit Deutschland wieder Wasserstoffland Nummer eins wird, sollte hierfür eine Milliarde Euro jährlich zusätzlich zur Verfügung gestellt werden – einerseits für Infrastruktur (etwa Tankstellen), andererseits für Technologietransferprogramme und Markteinführungshilfen des Mittelstands.

Auch im Bereich Digitalisierung haben die miserablen Rahmenbedingungen für Start-Ups dazu geführt, dass wir den Anschluss verlieren. Dazu kommt, dass die Monopoltendenzen der Plattformökonomie dazu geführt haben, dass jeder der Internet-Giganten aus den USA inzwischen eine Marktkapitalisierung hat, die größer ist als jene des gesamten DAX-30. Wenn Europa mit seiner mittelständisch geprägten Wirtschaft nicht in Abhängigkeit zu den USA und ins Hintertreffen gegenüber China geraten will, sollte es jetzt mit einer intelligenten Technologiepolitik einen europäischen ‚digitalen Airbus‘ auf den Weg bringen.  Hierbei können ich mir, unter Einbindung der Innovationskraft des deutschen und europäischen IT-Mittelstandes, die Schaffung einer gemeinschaftlichen europäischen digitalen Plattform nach dem Vorbild von Airbus vorstellen, damit Europa mit seiner mittelständisch geprägten Wirtschaft nicht in Abhängigkeit zu den USA und ins Hintertreffen gegenüber China gerät. Diese Plattform könnte etwa für Wissenstransfer, zur Kooperation beim Aufbau einer europäischen Regierungscloud, für ein Satellitenprogramm oder zur Erforschung Künstlicher Intelligenz genutzt werden.

Über Investitionen in unsere Zukunft sollten wir also definitiv reden. Was wollen wir tun? Wie bekommen wir das hin? Wollen wir private Projekte erleichtern, soll der Staat gezielt einige Benachteiligungen aufheben? Wie schaffen wir schnellere Planung und Umsetzung? Diese Fragen müssen beantwortet werden. Aber bitte nicht mit neuen Schulden.