Gastbeitrag Handelsblatt online: Warum in Deutschland Gelbwesten-Proteste drohen können

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Im vergangenen Jahr wurde eine Reihe von Gerichtsurteilen gefällt, mit denen Städte zu Fahrverboten für die Luftreinhaltung verpflichtet wurden. Dies sorgt für öffentliche Kontroversen, für viel Ärger bei den Betroffenen und für Demos, wie etwa in Stuttgart. Ein Teil des Zorns richtet sich dabei auch gegen den Kläger, einen Verein namens Deutsche Umwelthilfe (DUH).

Von der einen Seite wird behauptet: Die Fahrverbote seien zwingend. Der Betrug der Autoindustrie dafür verantwortlich. Die DUH sei nur der Überbringer der Botschaft, wer sie kritisiert der kritisiere den Rechtsstaat. Von der anderen Seite: Die Fahrverbote hätten keine Grundlage. Wenn man die DUH bekämpft, würde sich das Problem lösen. Beide Extrempositionen werden der Sache freilich nicht gerecht.

Zunächst muss man feststellen, dass es die Aufgabe von Naturwissenschaftlern ist, sich bei Luftschadstoffen über ihre Schädlichkeit und Richtwerte für unbedenkliche Konzentrationen Gedanken zu machen. Die Aufgabe der Politik ist es, verschiedene Interessen abzuwägen und miteinander möglichst in Einklang zu bringen.

Hierbei geht es um abstrakte Interessen wie Umweltschutz, Klimaschutz, langfristigem Gesundheitsschutz – aber eben auch ganz konkret darum, dass der Krankenpfleger, die Handwerkerin oder der Kindergärtner irgendwie zur Arbeit kommen müssen. Wenn Gesetzgeber aus den naturwissenschaftlichen Richtwerten rechtlich verbindliche Grenzwerte machen, müssen sie sich auch überlegen, ob diese eingehalten werden können – und wie. Auch politische Entscheidungen können später erneut überprüft und nötigenfalls korrigiert werden. Hier wurde auf EU-Ebene beschlossen, dass ein einklagbarer Luftreinhalteplan erstellt werden muss. Auch wegen dieser Pläne hat sich die Luft in deutschen Städten in den letzten 20 Jahren massiv verbessert.

Die DUH verklagt nun regelmäßig Städte darauf, Fahrverbote zum Teil des Luftreinhalteplans zu machen. Die Entscheidungsvorlagen der DUH richten sich dabei einseitig gegen den Autoverkehr. Sie geht nicht hin, fordert Messungen in Bahnhöfen oder an Radwegen und klagt gegen den ÖPNV oder Fahrradfahrer – obwohl diese gerade beim Thema Feinstaub alles andere als unbeteiligt sind. Selbst die Schweröl-Tanker im Hamburger Hafen oder Touristen-Ausflugsschiffe in Berlin kommen ungeschoren davon, während wenige Meter weiter Diesel-Autos mit einem Fahrverbot belegt werden.

Auf den ersten Blick lässt sich kaum etwas dagegen einwenden, dass die DUH Klage erhebt und versucht, ihre Interessen gerichtlich durchzusetzen. Betrachtet man das Gebaren der DUH jedoch im Ganzen, drängen sich kritische Fragen geradezu auf. Sie finanziert sich zu großen Teilen aus Einnahmen aus Abmahnzahlungen. Dieses Abmahnwesen der DUH wurde in einem Gerichtsurteil bereits als rechtsmissbräuchlich eingestuft. Es ist zumindest legitim zu hinterfragen, ob ein solcher Verein noch aus Steuermitteln gefördert werden sollte.

Allerdings ist natürlich auch klar, dass die Streichung öffentlicher Fördermittel für die DUH nicht dazu führen würde, dass die Fahrverbote unterbleiben. Dafür bedarf es anderer Maßnahmen – und zwar durch den Gesetzgeber, der die gesetzlichen Grundlagen überarbeiten und präzisieren muss, und durch die Regierungen von Bund und Ländern, die in der exekutiven Umsetzung Augenmaß und Verhältnismäßigkeit besser Rechnung tragen müssen.

Sie können dafür sorgen, dass zunächst die Grenzwerte ausgesetzt werden, bis eine wissenschaftliche Überprüfung und Folgenabschätzung der Grenzwerte und verschiedener Maßnahmen dagegen stattgefunden hat. Die Messungen müssen in der gesamten EU nach einheitlichen Standards funktionieren. Bürgerinnen und Bürger brauchen eine Mobilitätsgarantie – wenn keine ÖPNV-Kapazitäten vorhanden sind, halte ich insbesondere flächendeckende Fahrverbote in jedem Fall für unverhältnismäßig.

Ebenfalls muss man feststellen: Wenn der Gesetzgeber flächendeckende Fahrverbote wirklich gewollt hätte, so hätte er diese explizit in das Gesetz schreiben können. Gleiches gilt auch für ein allgemeines Tempolimit und sonstige Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit und in Eigentumsrechte. Da er das nicht getan hat, sondern im Gegenteil das Kraftfahrtbundesamt sämtliche nun betroffenen Fahrzeuge zum Verkehr zugelassen hat, muss im Grundsatz auch Vertrauensschutz gelten.

Was dem Land ansonsten blüht, lässt sich in Frankreich erahnen. Die Grünen hätten vor 30 Jahren eine solche Reaktion empörter Bürgerinnen und Bürger „zivilen Ungehorsam“ genannt.

Dass bei der FDP-Demo gegen unverhältnismäßige Fahrverbote am 9.2. in Stuttgart auch die CDU einschließlich Bundestagsabgeordneter gegen die Regierungen mit CDU-Beteiligung in Land und Bund demonstriert haben, ist ein erster Vorgeschmack.

Eine Zuspitzung wie in Frankreich, die im extremen Fall in einer Vertrauenskrise demokratischer Entscheidungen und rechtsstaatlicher Institutionen münden könnte, muss unbedingt vermieden werden.