Interview mit der Pforzheimer Zeitung: Brexit-Referendum ist nicht irreversibel

Interview mit der Pforzheimer Zeitung: Brexit-Referendum ist nicht irreversibel

Michael Theurer: Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa.

Print Friendly, PDF & Email

Das FDP-Präsidiumsmitglied Michael Theurer gab der „Pforzheimer Zeitung“ (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Andreas Fiegel, Thomas Satinsty, Magnus Schlecht und Angelika Wohlfrom:

Frage: Herr Theurer, Großbritanniens Premierministerin Theresa May hat sich verzockt – empfinden Sie eine Art klammheimliche Freude?

Theurer: Überhaupt nicht, weil Schadenfreude kein Element der Politik sein darf. Daraus lässt sich nichts Konstruktives entwickeln. Die Wahl in Großbritannienzeigt: Theresa May ist in dieselbe Falle gelaufen wie David Cameron. Man hat geglaubt, man kann die Brexit-Frage für einen innenpolitischen Erfolg nützen. Und das hat sich als falsch herausgestellt.

Frage: Was erwarten Sie nun für die anstehenden Brexit-Verhandlungen mit der EU? Wird es ein harter oder ein weicher Brexit?

Theurer: Das Ergebnis ist zwiespältig. Zum einen könnte das zu einer schwachen Regierung führen, was für die Verhandlungen schlecht ist. Starke Partner können leichter Kompromisse durchsetzen. Zum anderen, und das ist meine Bewertung, zeigt dieses Resultat, dass die Front der Brexit-Anhänger in Großbritannien bröckelt. Und deshalb plädiere ich dafür, dass wir in der Europäischen Union ein klares Signal an die Bürgerinnen und Bürger Großbritanniens senden. Nichts ist irreversibel.

Frage: Schließen Sie einen Exit aus dem Brexit gänzlich aus?

Theurer: Ich würde mich freuen, wenn es im Zuge der Verhandlungen zu einer Situation käme, wo man in Großbritannien nüchtern Vor- und Nachteile abwägt und vielleicht doch noch zum Ergebnis kommt, wir bleiben in der EU. Aus meiner Sicht ist das Signal: Die Tür bleibt offen. Aber die Wahrscheinlichkeit für einen Ausstieg aus dem Brexit geht leider gegen Null. Ich schließe ihn jedoch nicht aus.

Frage: Bis 2019 müssen die Brexit-Verhandlungen abgeschlossen sein. Ist das überhaupt zu schaffen?

Theurer: Die Zweijahresfrist des Lissabon-Vertrags ist extrem ehrgeizig. Nach meinem Dafürhalten muss das Ziel sein, zumindest ein Übergangsabkommen mit den Briten zu verhandeln. Das wäre letzten Endes für beide Seiten das einzig Vernünftige.

Frage: Nun haben sowohl die Niederlande als auch Frankreich pro-europäisch gewählt. Nimmt das den Druck innerhalb der EU wieder heraus, die Staatengemeinschaft zu reformieren?

Theurer: Erfreulich ist, dass der von manchen als unaufhaltsam angesehene Zuwachs von EU-Gegnern gestoppt ist. Das ist das Signal der Niederlande. Die französische Parlamentswahl zeigt, dass mit Emmanuel Macron eine Reformregierung die Möglichkeit bekommt, Frankreich neu aufzustellen. Und jetzt gilt es auch in Berlin, diese Chance für ein Revirement der deutsch-französischen Freundschaft zu nutzen. Denn die EU kann nicht so bleiben, wie sie ist. Der Reformdruck bleibt und er muss genutzt werden.

Frage: Welche drei Dinge würden Sie sofort ändern, wenn Sie es könnten?

Theurer: Erstens: Wir brauchen den Schutz der gemeinsamen Außengrenzen, auch durch den Aufbau einer EU-Grenzschutzpolizei und einer EU-Küstenwache. Zweitens ist jetzt der richtige Zeitpunkt, die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik mit Leben zu erfüllen. Ich bin für eine europäische Armee. Und das Dritte, wo wir mehr Europa brauchen, ist die grenzüberschreitende Bekämpfung der Kriminalität. Nun soll zunächst eine europäische Staatsanwaltschaft kommen. Das ist der erste Schritt. Aber wir brauchen auch ein europäisches Bundeskriminalamt – also ein FBI der Europäischen Union. Und schließlich wäre mein Wunsch, dass die EU wegkommt von einer Bürokratie-Union hin zu einer Bürgerrepublik Europa.

Frage: Hierzulande wirft die Bundestagswahl ihre Schatten voraus. Nach den jüngsten Umfragen ist eine Rückkehr der Liberalen ins Parlament mehr als wahrscheinlich. Wie erklären Sie sich die Sehnsucht manches Wählers nach einer parlamentarischen Renaissance der FDP?

Theurer: Die Menschen signalisieren uns, dass sie eine Partei der sozialen Marktwirtschaft und der Rechtsstaatlichkeit wünschen. Offensichtlich vertreten wir etwas, was andere nicht abdecken. Die große Koalition erscheint zunehmend kraftlos. Sie ist auch sehr stark etatistisch und staatsinterventionistisch. Zwei Oppositionsparteien – Grüne und Linke – wollen noch mehr von dieser Staatsorientierung. Und da sind die Freien Demokraten die einzigen, die wissen, dass das Erwirtschaften vor dem Verteilen kommt. Gleichzeitig sind wir aber auch gegen Abschottung, wir sind pro-europäisch, weltoffen, marktwirtschaftlich und rechtsstaatlich. Und in dieser Kombination ist das unser Alleinstellungsmerkmal.

Frage: Was unterscheidet die FDP 2017 von der FDP 2013?

Theurer: Wir haben hart an uns gearbeitet. Als Partei der Eigenverantwortung haben wir die Fehler nicht bei anderen, sondern bei uns gesucht. Wir haben mit Experten von außen, mit Fokus-Gruppen und mit der Beteiligung von mehr als 15000 unserer Mitglieder ein neues Leitbild erarbeitet – „Mehr Chancen durch mehr Freiheit“. Diese solide und seriöse Aufbauarbeit hat jetzt bei den Landtagswahlen Früchte getragen, so dass wir zuversichtlich in die Bundestagswahl gehen.

Frage: Was war denn der gravierendste Fehler?

Theurer: Ganz eindeutig die enge Anlehnung an die CDU – bis zur Ununterscheidbarkeit – war ein Fehler, den wir nicht wiederholen werden. Die FDP wird in keine Regierung eintreten, wenn nicht wesentliche Inhalte unseres Programms umgesetzt werden. Und das Zweite war: Wir haben uns verengen lassen auf ein Thema – Steuervereinfachung und Steuersenkung – und konnten dann nicht liefern. Heute sagen wir: Wir sind nach wie vor für eine Entlastung der Bürgerinnen und Bürger bei den Steuern, aber wir werden nicht mehr zulassen, dass die FDP auf die reine Steuersenkungspartei verengt wird.

Frage: Das heißt, Sie wären auch für eine Senkung der Mehrwertsteuer, so wie es derzeit gefordert wird?

Theurer: Wir haben ein eigenes Steuerkonzept vorgelegt, das vor allem die Absenkung der Lohn- und Einkommensteuer vorsieht. Die mittleren Einkommensgruppen wollen wir entlasten, also die kalte Progression abschmelzen. Und auch den Solidaritätszuschlag wollen wir abschaffen. Bei der Mehrwertsteuer sehen wir einen Gesamtreformbedarf. Wir wundern uns, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble jetzt kurz vor der Bundestagswahl Vorschläge vorlegt. Das hat was von Torschlusspanik. Eine grundsätzliche Reform der Mehrwertsteuer stand schon 2009 im Koalitionsvertrag von Union und FDP, ist aber leider damals von Schäuble nicht vorangetrieben worden.

Frage: Nach den Erfahrungen von 2009 bis 2013: Können Sie sich denn tatsächlich eine Neuauflage einer schwarz-gelben Koalition im Bund vorstellen ohne die Furcht zu haben, vier Jahre später erneut untergegangen zu sein?

Theurer: Die Eigenständigkeit der FDP ist hier das Entscheidende.

Frage: Die haben Sie aber auch schon 2009 gepredigt.

Theurer: Ja, aber dann anschließend in der Regierung nicht deutlich genug durchgehalten.

Frage: Und was macht Sie sicher, dass es die FDP bei einer Neuauflage unter Kanzlerin Angela Merkel durchhalten wird?

Theurer: Man hat uns früher vorgeworfen, dass wir Inhalte opfern für Dienstwagen. Wir haben in Baden-Württemberg bewiesen, dass uns Inhalte wichtiger sind als Dienstwagen. Und deshalb ist die FDP hierzulande in der Opposition. Wir sehen im Moment an der CDU, wie schwer es ist gegenüber den Grünen Inhalte durchzusetzen. Es ist keine deutliche Handschrift der CDU zu erkennen. Wir sind froh, dass wir uns so entschieden haben, denn die Gespräche mit SPD und Grünen haben ergeben, dass wir unsere Inhalte nicht hätten umsetzen können. Daran sehen Sie: Wir sind konsequent. Und das kann ich auch zusagen für den Bund. Wenn es nach mir geht, wird die FDP in Berlin in keine Regierung eintreten, wenn nicht wesentliche Elemente unseres Programms in praktische Politik umgesetzt werden können.

Frage: Sie bilden im Bundestagswahlkampf im Südwesten die Speerspitze. Warum wollen Sie Europa verlassen?

Theurer: Das Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag 2013 war eine Zäsur. Damals war für mich klar, der Wiedereinzug ins Parlament 2017 ist für die langfristige Sicherung der parlamentarischen Existenz der Freien Demokraten entscheidend. Und deshalb habe ich mich als Abgeordneter mit der Erfahrung auf europäischer Ebene und als Landesvorsitzender in die Pflicht nehmen lassen. Und zwar zu einem Zeitpunkt, als die Erfolgsaussichten noch nicht so positiv bewertet wurden wie jetzt.

Frage: Wie stark will die FDP am 24. September hier in Baden-Württemberg werden?

Theurer: Unser Ziel für Baden-Württemberg ist acht Prozent plus x. Wobei ich angesichts der schönen Erfolg ein Schleswig-Holstein und NRW sage: Wir haben nichts dagegen, wenn das X immer größer wird.