Interview mit der Eßlinger Zeitung: Panikmache und Angstmacherei sind falsch

Interview mit der Eßlinger Zeitung: Panikmache und Angstmacherei sind falsch

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Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied MICHAEL THEURER gab der „Eßlinger Zeitung“ (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte HERMANN NEU:

Frage: Schlechte Zeiten für Europa: Der Terror wie zuletzt in Frankreich führt zu massiven Restriktionen, neuen Grenzkontrollen, weniger Freizügigkeit. Wie will der europäische Liberale gegensteuern?

THEURER: Wichtig ist Besonnenheit und Klugheit. Die Anschläge sind eine Bedrohung für die freiheitliche Gesellschaft, also für alles, was Europa ausmacht. Es gilt, diesem Terror entschlossen entgegenzutreten. Nach dem Motto des amerikanischen Staatsmannes Benjamin Franklin: Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.

Frage: Reflexhaft wurde nach den Attentaten in Paris von Politikern wie dem bayerischen Finanzminister Markus Söder der neue Ausbruch des Terrors vermischt mit der Flüchtlingsproblematik. Wie agiert bei dieser Frage die FDP?

THEURER: Die Flüchtlingsfrage und die Terrorgefahr darf unter keinen Umständen vermischt werden. Söder sollte vor solchen Äußerungen nachdenken. In dieser Situation sind keine Parolen notwendig, sondern beherztes Handeln: Eine konzertierte Antiterror-Aktion, um die Lage in Syrien zu stabilisieren. Dann eine verbesserte Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in Europa, denn offensichtlich gab es hier eklatante Mängel. Das ist die richtige Antwort. Panikmache und Angstmacherei sind falsch.

Frage: Als Europaabgeordneter kennen Sie die Verhältnisse in Belgien und in Brüssel gut. Was sehen Sie als Grund, dass gerade von dort, speziell aus dem Brüsseler Stadtteil Molenbeek, immer wieder Terroristen kommen?

THEURER: Die belgische Regierung hat Versäumnisse der Vergangenheit eingeräumt. Insgesamt sind kleinere Mitgliedsstaaten offensichtlich weniger in der Lage, durch Fahndungsdruck die Terrorgefahr in Schach zu halten. Allerdings gibt es in ganz Europa eine Terrorgefahr, und anstatt das europäische Integrationsprojekt in Frage zu stellen, sollten wir überlegen, wie wir die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden verbessern. Die FDP fordert deshalb zum Beispiel statt Grenzschließungen eine europäische Rasterfahndung.

Frage: Was ist der Grund, dass in den Banlieues von Paris, Lyon, Toulouse oder Marseille aber auch in Ecken von Berlin oder im Ruhrgebiet der Extremismus blüht?

THEURER: Die Ursachen des Terrorismus sind zu wenig erforscht. Klar ist allerdings, dass es offensichtlich in den europäischen Gesellschaften Menschen gibt, die die Werte unseres Grundgesetzes nicht teilen. Die entscheidende Auseinandersetzung wird sein, dem Terrorismus das sympathisierende Umfeld zu entziehen. Deutschland hat ja durch rechtsstaatliche Mittel eine schwere Phase des linksextremistischen Terrors in den 1970er Jahren überstanden. Der Durchbruch gegen den RAF-Terrorismus gelang aber erst, als es keine nennenswerte Unterstützung der Terroristen durch das sympathisierende Umfeld gab. Es stellt sich also für uns die Frage, weshalb sich junge Menschen ohne Migrationshintergrund den internationalen islamistischen Brigaden in Syrien anschließen. Solange dies nicht beantwortet ist, bleibt es schwierig, den Terrorismus vollständig zu bekämpfen. Meine Forderung ist: Lassen wir die Sicherheitsbehörden bei der Bekämpfung des Terrorismus nicht alleine.

Frage: Europa bietet in der Flüchtlingskrise ein bedauerliches Bild: Zuerst hat der Norden zugeschaut, die Probleme hatten Italien und Griechenland. Nun schaffen es viele Flüchtlinge nach Deutschland, Österreich und Schweden. Alle anderen stellen sich tot. Wie lange kann das so weitergehen?

THEURER: Wir erleben das fast vollständige Versagen der Nationalstaaten. Das europäische Parlament hat bereits 2011 in einer Resolution gewarnt, dass das Dublin-III-System zur Aufnahme von Asylbewerbern einem solchen Ansturm von Flüchtlingen, wie wir ihn jetzt erleben, nicht standhalten wird. Dieser Ruf blieb auch in Berlin ungehört. Damals hieß der Innenminister Friedrich, CSU. Manche, die heute sehr laut schreien, saßen damals im Bremserhäuschen. Allerdings hilft jetzt nur der Blick nach vorne. Wir brauchen ein europäisches Asyl- und Migrationsrecht. Und wir müssen den Schutz der gemeinsamen EU-Außengrenzen durchsetzen, auch indem wir Mitgliedsstaaten wie Griechenland dabei unterstützen.

Frage: Momentan hat man das Gefühl, Europa drifte massiv auseinander: Die Briten denken über den Ausstieg nach, bei nationalkonservativ regierten Ländern wie Ungarn oder inzwischen auch Polen hat man den Eindruck, dass die Vorteile der EU gerne mitgenommen werden, Solidarität in der Krise aber ebenso ein Fremdwort ist wie eine offene Gesellschaft. Täuscht der Eindruck?

THEURER: Die Sorgen sind berechtigt. Die Zentrifugalkräfte sind immens. Wir brauchen deshalb die Revitalisierung der europäischen Idee. Es ist völlig klar, dass kleine Länder wie Slowenien oder Kroatien alleine bei der Bewältigung der Flüchtlingsfrage überfordert wären, wenn schon ein großes Land wie Deutschland überfordert ist. Gerade in einer unsicher werdenden Welt spricht alles für mehr Europa und nicht für weniger.

Frage: In Deutschland haben die Rechtsextremisten von Pegida weiter Zulauf, die AfD ist laut einer aktuellen Umfrage drittstärkste Partei. Was hat das für Auswirkungen auf die Innenpolitik und auch auf die EU?

THEURER: Die populistischen Parteien in allen Mitgliedsstaaten spielen mit der Angst der Bürger. Panikmache ist allerdings kein Erfolgsrezept. Wir müssen in den Zeiten der Krise aufpassen, dass die Zukunftsthemen nicht aus dem Blick geraten. In einem alternden Kontinent mit einer zurückgehenden Bevölkerung und bedarfsgedeckten Märkten hängt der Wohlstand vor allen Dingen von der Wettbewerbsfähigkeit ab. Wir haben eine Technologielücke und eine Innovationslücke. Genau diese Zukunftsfragen müssen angegangen werden. In einer Gesellschaft mit hoher Arbeitslosigkeit, mit Zukunftsängsten und Perspektivlosigkeit gedeiht der Extremismus. Ein Rückfall in nationale Egoismen und eine Wiederbelebung des Nationalismus jedenfalls führen erneut in Krieg und Krise.

Frage: Ist der Liberale im Jahr 2015 immer immun gegen populistische Anwandlungen? Wir erinnern uns an die 1990er-Jahre und den Rechtskurs beispielsweise der Cannstatter FDP, die einst sogar Jörg Haider eingeladen hat. Gibt es noch Nationalliberale?

THEURER: Die Freien Demokraten haben in ihrer Neuaufstellung intensiv mit den Mitgliedern ein neues Leitbild erarbeitet. Mehr Chancen durch mehr Freiheit heißt das Motto. Wir haben allen Empfehlungen des Populismus eine klare Absage erteilt. Die FDP steht für doppelte Klarheit: Konstruktive Kritik an der Kanzlerin und eine klare Abgrenzung zu Pegida.

Frage: Im Land ist nach den Anschlägen in Paris die Debatte über mehr Polizisten entbrannt. Die FDP-Fraktion fordert da munter mit. Der Innenminister rät zu Besonnenheit und will zunächst genau prüfen. Was sagt der FDP-Landeschef?

THEURER: Es gibt große Vollzugsdefizite, die beseitigt werden müssen. Die FDP befürchtet eine schleichende Erosion des Rechtsstaates. Zuerst wurde Dublin III ausgehebelt, dann Schengen und die Freizügigkeit ausgesetzt und jetzt besteht die Gefahr, dass die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes durch Beschlagnahmungen angetastet wird. Auch sehen wir mit Sorge, dass viele Asylbewerber untertauchen. Wir erwarten vom Innenminister und den Kommunen, dass hier schnell Abhilfe geschaffen wird. Wir brauchen in diesem Bereich auch mehr Personal. Wenn das nicht durch Umschichtung zur Verfügung gestellt werden kann, dann müssen neue Stellen geschaffen und Beamte gebeten werden, dass sie aus dem Ruhestand für einige Zeit zurückkommen.

Frage: Wie seriös ist diese Forderung, wenn man weiß, dass die Regierung von CDU und FDP 1000 Polizeistellen abgebaut hat?

THEURER: Eine neue Lage erfordert eben auch eine Veränderung der Maßnahmen. In der jetzigen Zeit spricht alles dafür, dass das Personal aufgestockt wird, zumindest für gewisse Zeit. Die hauptamtlichen und ehrenamtlichen Kräfte agieren vielerorts an der Leistungsgrenze.